Berg der Legenden
den Fliegen, Mücken und Blutegeln entkommen können, die den Speiseplan weißer Männer dem der Einheimischen vorzuziehen scheinen.
Der General hat seine eigene Badewanne mitgebracht, die von zwei Mulis getragen wird. Jeden Abend gegen sieben füllt ein halbes Dutzend Träger sie mit Wasser, das zuvor über einem Holzfeuer erhitzt wurde. Ich besitze eine Fotografie unseres Expeditionsleiters, wie er in seiner Badewanne sitzt, eine Zigarre in der einen und ein Glas Brandy in der anderen Hand. Ganz offensichtlich sieht er keine Veranlassung, seine lebenslangen Gewohnheiten zu ändern, nur weil er ein paar Wochen im indischen Dschungel verbringt.
Abends speisen wir alle zusammen an einer auf Böcken stehenden Tafel – der General hockt am Kopfende auf seinem Jagdstuhl. Unser Mahl besteht selten aus etwas anderem als Eintopf mit Klößen, aber wenn wir am Ende des Tages unser Lager aufschlagen, sind wir viel zu hungrig, um zu untersuchen, welches Tier diesmal mit in den Topf gewandert ist.
Der General hat ein paar Kisten feinsten Châteauneuf-du-Pape eingepackt, dazu ein halbes Dutzend Kisten Pol Roger, die von zwei der kräftigsten Mulis der Herde getragen werden. Die einzige Beschwerde, die der General vorbringt, ist, dass er den Wein nicht auf Zimmertemperatur halten kann. Doch da es mit jedem Tag ein wenig kühler wird, wird es nicht mehr lange dauern, und er kann seinen Champagner in einer Badewanne voller Eis kühlen.
Bis jetzt scheinen sich alle ganz wacker zu schlagen – leichtes Fieber und Übelkeit waren zu erwarten gewesen, obwohl ich drum herumgekommen zu sein scheine – bis jetzt. Nur ein paar Mückenstiche und ein ziemlich übler Hautausschlag.
Drei der Träger sind bereits davongelaufen, und zwei Mulis sind vor Erschöpfung gestorben – erzähl das aber nicht Clare. Ansonsten scheinen sie alle in recht guter Verfassung zu sein. Unseren Chef-Sherpa haben wir bereits angeheuert. Er heißt Nyima, und er spricht nicht nur allerbestes Englisch, sondern ist offensichtlich auch ein ernstzunehmender Bergsteiger – barfüßig.
Somervell hat sich, wie stets, als rechter Pfundskerl erwiesen. Er erleidet nicht nur dieselben Härten wie wir alle, sondern erfüllt auch noch seine Pflichten als Reservequacksalber, ohne jemals über die zusätzliche Belastung zu murren. Odell ist ganz in seinem Element, weil er jeden Tag neue Gesteinssorten entdeckt. Ohne Zweifel werden, sobald er nach Cambridge zurückgekehrt ist, diverse neue Bände in den Bücherregalen auftauchen, ganz zu schweigen von den Dutzenden gut besuchten Vorlesungen, die er halten wird.
Norton, der Ärmste, ist einen Meter dreiundneunzig groß, und obwohl er schon das größte Muli hat, berühren seine Füße trotzdem den Boden. Finch bildet stets die Nachhut der Kolonne – seine ebenso wie unsere Entscheidung –, wo er ein wachsames Auge auf seine kostbaren Sauerstoffflaschen hat. Er ist immer noch überzeugt, dass sie über den Ausgang der Expedition entscheiden werden. Ich bleibe skeptisch.
Während wir immer höher klettern, beobachte ich, wie die Burschen mit den Bedingungen zurechtkommen, und ich fange bereits an, mir über die Zusammenstellung der verschiedenen Seilschaften Gedanken zu machen. Finch glaubt, dass ich ihn für den Gipfelaufstieg auswählen werde, und offen gesagt wäre niemand überrascht, wenn es so käme. Seit wir Bombay verlassen haben, haben er und der General kaum ein anständiges Wort gewechselt. Je mehr Tage indes verstreichen, desto mehr verblasst die »Affäre Sonia«, wie die Burschen es nennen, in den Erinnerungen.
Ein Mitglied unserer Reisegesellschaft entpuppte sich als unerwartete Entdeckung. Ich habe schon immer gewusst, dass Noel ein erstklassiger Alpinist ist, aber ich hatte keine Ahnung, dass er auch ein hervorragender Fotograf und Filmemacher ist. Keine Expedition ist je zuvor so gut dokumentiert worden, und als Zusatzbonus ist Noel einer der weniger Mitreisenden, die die Sprache der Einheimischen sprechen.
Eine der täglichen Routinen, die Noel auf Film festgehalten hat, würde niemand glauben, wenn er sie nicht dokumentiert hätte. Morshead, den Du, wie ich glaube, nicht kennengelernt hast, ist Kartograph, der, als Mitglied der RGS-Mannschaft, verantwortlich ist für die Erstellung detaillierter Karten dieser Gegend. Einer der Punkte, bei denen er äußerst gewissenhaft vorgeht, ist die präzise Feststellung der Entfernungen. Um Morshead zu unterstützen, hat der General, für zwanzig Rupien
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