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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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Wetters, Lawinengefahr in der Wand und Proviantengpässen droht das Unternehmen zu scheitern. Der Kameramann Gerhard Baur, Günther und ich möchten auch am Berg bleiben, wenn die Expedition aufgibt und abzieht (konspirative Besprechung). Ich bin überzeugt davon, dass die Rupalwand durchsteigbar ist, und bereit, auf den dafür günstigen Augenblick zu warten, auch über die Expeditionsdauer hinaus.
    Wenn ich etwas tue, tue ich es ganz. Ich bin kein Aussteiger. Ich bin ein Einsteiger.
    24.6.1970
    Ein letzter Versuch, den Gipfel zu erreichen, ist angelaufen. Voraus Gerhard Baur, Günther und ich. In Pyramidenform – wir drei an der Spitze werden unterstützt von immer breiteren Hilfsmannschaften in den tieferen Lagern – nähern wir uns dem früheren Umkehrpunkt. Wir bauen in mühsamer Arbeit mit der Unterstützung aller Expeditionsteilnehmer und Hunza-Hochträger Lager IV (6600 m) aus und können es besetzen. Gutes Wetter. Der Weiteraufstieg ist denkbar. Eine Eigendynamik entwickelt sich. Mehrere Seilschaften haben sich herausgebildet, wobei Dr. Herrligkoffer das Team Felix Kuen (Österreich) und Peter Scholz (Deutschland) als Gipfelmannschaft zu favorisieren scheint (Herrligkoffer’sche Expeditionen hatten immer auch einen nationalen Anstrich). Aufstieg mit Günther bis unter die Merklrinne (7400 m). Einebnen eines Biwakplatzes. Abstieg ins Lager IV am gleichen Tag. Nie zuvor war jemand in der Rupalwand so hoch gestiegen.
    Abermals scheint sich das Wetter zu verschlechtern. Dies bedeutet, dass wir scheitern müssen. Einen weiteren Versuch nach einem Rückzug bis ins Basislager hätten wir uns nicht leisten können: aus Zeitgründen und wegen Vorratsmangels.
    25.6.1970
    Rast im Lager IV. Peter Scholz und Felix Kuen tragen ein kleines Zelt zum vorbereiteten Biwakplatz unter der Merklrinne (Lager V) und kommen ins Lager IV zurück.
    26.6.1970
    Das Wetter wendet sich zum Guten. Erstmals und über Funk kündige ich dem Expeditionsleiter im Basislager an, mit dem Aufstieg zum Gipfel zu beginnen. Einverständnis. Herrligkoffer verspricht uns, am Abend mittels Rakete (rot = schlechtes, blau = gutes Wetter) aus dem Basislager den Wetterbericht (über Radio dort täglich zu empfangen) zu signalisieren. Ich will mich dementsprechend verhalten: bei gutem Wetter den Gipfel nach mehrtägiger Vorarbeit (Lager V, Fixseile in der Merklrinne) zu zweit oder zu dritt besteigen (andere Seilschaften könnten folgen); bei schlechtem Wetterbericht durch einen schnellen Alleingang dem Schlechtwettereinbruch möglichst zuvorkommen, um vor der einsetzenden Lawinengefahr absteigen zu können.
    Gerhard Baur, Günther und ich steigen mit dem Allernötigsten ins Lager V auf (ohne Funkgerät, ohne Kocher). Felix Kuen und Peter Scholz sollen anderntags mit weiterer Ausrüstung folgen. Am Abend verkündet uns eine rote Rakete schlechten Wetterbericht. Dementsprechend will ich handeln. Ich bin hochmotiviert und in blendender Form. Allein kann ich den Gipfel schneller erreichen als ein Team. Also will ich den angekündigten Alleingang wagen. Nicht nur mein Ehrgeiz, der Aufwand fordert ihn.
    27.6.1970
    Aufstieg allein über die Merklrinne. Um 3 Uhr früh verlasse ich das Biwak. Im Mond-schein. Ohne Rucksack. Jedes zusätzliche Gewicht würde mich in meiner Schnelligkeit bremsen.
    Es ist –40 °C kalt. Langsam steige ich die Merklrinne aufwärts. Zuerst über Schneehänge, dann in einem senkrechten Risskamin, später über eine Art Schlucht. Auf 8000 Meter Meereshöhe, wegen des Sauerstoffmangels langsamer werdend, quere ich nach rechts in die offene Wand. Da merke ich plötzlich, dass jemand hinter mir nachkommt: mein Bruder.
    Günther, der mir aus eigenem Entschluss nachgestiegen ist, holt mich ein. Auch er ist ohne Ausrüstung geklettert und schneller als ich. Es wäre vernünftig, umzukehren. In unserer jugendlichen Unbekümmertheit jedoch denken wir nicht daran. Wir sind sicher, die größten Schwierigkeiten überwunden zu haben, den Gipfel bald zu erreichen.
    Am späten Nachmittag sind wir ganz oben. Wir bleiben nicht lange. Erst nach dem Abstieg vom höchsten Punkt merke ich, dass Günther unsicher ist. Er schwankt oft, bleibt hocken. Das schnelle Nachsteigen hat ihn erschöpft, vielleicht höhenkrank gemacht.
    Mir ist noch nicht klar, dass wir in einer Falle sitzen. Wir können unmöglich ohne Seil

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