Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers
ab.
20.5.1989
Wir holen den Rest der Ausrüstung aus derWand. Die Versuche sind zu Ende. Ein starkes Team entsteht nicht mit derVision eines Einzelnen. Es basiert auf gemeinsamem Bewusstsein. Alle müssen dasselbe wollen.
Herbst 1989
Wenige Monate später stürzte Jerzy Kukuczka, der erfolgreichste Höhenbergsteiger der 1980er Jahre, in der Gipfelwand ab. Die Lhotse-Südwand ist ihm zum Verhängnis geworden, nachdem er alle 14 Achttausender bestiegen hatte: viele auf neuen Routen, einige im Winter, einen im Alleingang. Er hat dem Druck der Ãffentlichkeit noch einmal nachgegeben und ist, obwohl auch ersich mit der Idee beschäftigte, andere Formen des Abenteuers zu suchen, zur schwierigsten Wand an den Achttausendern zurückgekehrt. Jerzy stürzte, das Seil riss, er blieb verschollen. Ich beklage ihn als Opfer eines Wettkampfsports, den Fans als Projektionsfläche für ihre Hybris brauchen: Einer müsste zuletzt immer siegen. Beim Abenteuer aber geht es nie um Sieg oder Niederlage, es geht um Erfahrungen bei unserem selbstbestimmten Tun.
»Mit einem Team, das nur gewollt wird, kommst du nicht weit.«
Seilschaft als Zweckgemeinschaft
E rfolgreich kann ich im Team nur sein, wenn meine Partner sich für das gemeinsame Ziel begeistern. Wir Grenzgänger arbeiten in immer kleineren Gruppen. (Auch zwei sind eine Seilschaft, ein Team.) Und meine Teams sind definiert durch die gemeinsame Zielsetzung. Dementsprechend wähle ich meine Partner aus, oft mir fremde Menschen.
Beim Bergsteigen war es einfach für mich, Seilschaften zu bilden. Ich kannte viele gute Kletterer. Wir passten zusammen, oder wir wollten unbedingt dieselbe Nordwand durchsteigen. Also kletterten wir gemeinsam. Es sind dabei Freundschaften entstanden und kurze Zweckgemeinschaften.
Freundschaft in einer Seilschaft ist ein Plus. Ich gehe lieber mit einem Freund in eine schwierige Situation als mit einem Fremden.
Je älter ich aber wurde, umso mehr sind meine Freunde unter den möglichen Kletterpartnern geschwunden. Einige waren umgekommen, andere ausgestiegen. Die meisten Bergsteigerfreunde in meinem Alter gehen inzwischen einem bürgerlichen Beruf nach. Sie sind so sehr mit ihrer Aufgabe beschäftigt, dass sie meine Grenzgänge nicht mitmachen können. Es fehlt ihnen an Zeit. Oft an der dafür notwendigen Energie neben dem Beruf (Trainingsaufwand, Vorbereitung).
Im Eiswandern war ich 1986 ein Neuling. Einen Freund, der mit dem Eiswandern vertraut war, hatte ich nicht. Ich habe deshalb einen Partner mit Erfahrung und aus meinem Sprach- und Kulturkreis gesucht. Ich wollte am Südpol nicht mit fremden Menschen in einer fremden Sprache kommunizieren. Deshalb habe ich den erfahrensten Mann kontaktieren lassen, den es in dieser Sparte im deutschen Sprachraum damals gab. Ãber einen gemeinsamen Freund habe ich erreicht, dass Arved Fuchs auf mich zukam. (Dieses Vorgehen hat einen rechtlichen Hintergrund. Bei einer so schwierigen Expedition könnte der Einladende im Falle eines Unfalls als Anstifter belangt werden.)
Es gab gute Norweger, gute Kanadier, auch einen Engländer, die alle diese Art des Grenzgangs besser beherrschten als sämtliche deutschsprachigen Polfahrer. Arved Fuchs ist Deutscher. Die gemeinsame Sprache war eine Grundvoraussetzung in unserer Partnerschaft. Das gemeinsame Ziel die wichtigste.
Zwei, drei oder auch mehr Menschen, die mit der gleichen Vehemenz das Gleiche wollen, bilden ein Team. Auch Arved und ich waren ein Team. Dabei gleichwertige Partner. Ich halte nichts von alten Führungsmustern, in denen ein Seilschaftsführer oder ein Expeditionsleiter â mit welcher Legitimation auch immer âBefehle erteilt und die anderen zu gehorchen haben. Trotzdem bleibt, davon bin ich überzeugt, immer einer der »Leitwolf«. Er nimmt von den anderen nicht nur Information, sondern auch Energie. Die Führungspersönlichkeit hat in der Summe mehr Erfahrung, mehr Ausdauer, mehr Ausstrahlung als alle anderen. Deshalb geben die anderen die Führung meist auch selbstverständlich an sie ab. Das geschieht stillschweigend.
Wie die Führungspersönlichkeit bestimmt wird â und zwar immer wieder neu â, grenzt an Riten. Dieses Gruppenverhalten ist archaisch. Wenn sich einer die Führung zu nehmen versucht, ohne im Team als Führer ausgewiesen zu sein, ohne entsprechende Qualitäten also, wird er nicht als Führer anerkannt. Es funktioniert
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