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Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers

Titel: Berge versetzen - das Credo eines Grenzgängers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: BLV Buchverlag GmbH & Co. KG
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ähnlich wie im Wolfsrudel. Ich habe Momente erlebt, in denen durch einen Unfall, durch einen Schreck, durch Krankheit die Rollen gewechselt wurden. In Sekundenschnelle. Derjenige, der bis dahin den Ton angegeben hatte, von allen anderen Kräfte absog, war plötzlich nicht mehr der Leader. Ein anderer bestimmte. Der »starke Mann« von vorher musste jetzt an die neue Führungspersönlichkeit Energie abgeben. Ein gefährlicher Moment für jeden Leader, der zurückgeben, abgeben muss.
    In meinen Expeditionen war ich meist von Anfang an ein Leader. Erstens, weil ich nur Expeditionen mache, die mir zuwachsen. Ich entscheide dann über das Ziel und das Wie, und zwar bevor ich Partner suche. Ich plane also bis zu einem bestimmten Punkt alleine. Wenn ich merke, so möchte ich es machen, tue ich mich mit Partnern zusammen, so vielen, wie wir es gemeinsam für notwendig halten. Es kann sein, dass der erste Partner mir alle weiteren ausredet. In die Antarktis wollte ich zu dritt gehen. Arved Fuchs hat mir einen dritten Mann ausgeredet. Ich habe nachgegeben.
    Ab dem Moment, in dem wir uns zusammentun, sind wir ein demokratisches Team. Ein Leader wird nicht übernommen, gewählt oder festgeschrieben. Er wird oder bleibt es nur dank eindeutiger Überlegenheit.
    1970, bei meiner ersten Achttausender-Expedition, war ich Mitglied. Als eingeladener Teilnehmer hatte ich meinen Anteil zu bezahlen und einen Vertrag zu unterschreiben. Der Expeditionsleiter – er war auch der Organisator –, der in diesem Vertrag Rechte und Pflichten festgelegt hatte, war am Berg führungsschwach. Wir planten den Gipfelgang auf eigene Faust. Nachher verbot uns Mitgliedern eine Art »Maulkorbvertrag« eine eigenständige Berichterstattung.
    Aus dieser Erfahrung heraus habe ich auf Expeditionsverträge immer verzichtet. Nie habe ich mit einem meiner Partner einen Vertrag abgeschlossen. Jeder in meinen Teams konnte und kann tun, was er will. Auch ist jeder vorher und nach her frei, zu verkaufen, was er will. Unterwegs sprechen wir alles gemeinsam durch.
    Wer auf dem Papier der Leader ist, bleibt sekundär. Viele Expeditionen (in Pakistan, Grönland, Nepal) müssen genehmigt werden. Und jedes Mal muss ein Expeditionsleiter angegeben sein. Wenn ich meinen Namen in die entsprechenden Listen unter »Leader« eintrage, heißt das noch lange nicht, dass ich die Expeditionsleitung unterwegs auch innehabe.
    Im Winter 1992 in Grönland zum Beispiel wollte ich sehen, wie es ist, wenn drei Leute – zwei mit derselben Sprache und einer mit einer anderen – zusammen laufen. Ob dieser stillschweigende Führungswechsel trotzdem funktioniert. Er funktionierte.
    Auch in der Arbeitswelt muss es so sein. In kleinen Gruppen, also in Teilbereichen eines Unternehmens, gibt es immer eine dominante Führerpersönlichkeit. Sie befiehlt zwar nicht, aber sie leitet. Ihr Wort hat mehr Gewicht.
    Wir haben Hemmungen, das Wort »Führer« zu benutzen. Dabei sollten wir Grenzgänger darüber hinaus darauf achten, welche Sprache wir sprechen. Der »Siege», »Angriffe« und »Blitzkriege« gibt es in den Bergbüchern genug. Wir Abenteurer müssen wegkommen von der Kriegssprache: Gipfel werden nicht »erobert«, Wände nicht »angegriffen«, Eiswüsten nicht »besetzt«. Wir laufen auch nicht irgendwelchen politischen oder ethischen Werten hinterher. Wir realisieren höchstens eine Idee. Und die Gruppe steht nicht »hinter der Fahne«, sondern vor einem gemeinsamen Ziel.
    Das Vorurteil, tausendfach wiederholt, dass eine Seilschaft nur Erfolg haben kann, wenn sie aus Freunden besteht, ist so tief verankert, dass viel Schindluder mit der »Bergkameradschaft« getrieben wird. Natürlich kann auch eine Gruppe von Freunden weit kommen. Wenn Können, Erfahrung und Wille in einem solchen Team in etwa gleichmäßig verteilt sind, werden die Erfolgschancen durch die Freundschaft gesteigert. Aber auch zwei oder mehrere, die in ihrem Fach die Besten sind, kommen weit, ohne Freunde zu sein.
    Ich habe meine Expeditionen meist auf Zweckgemeinschaften aufgebaut. Die jeweilige Seilschaft war zeit- und zielgebunden, nicht von vornherein als Seilschaft fürs Leben gedacht. Unter meinen besten Freunden gibt es keine so starken und erfahrenen Grenzgänger, dass ich mit ihnen bis ans Ende der Welt gehen könnte. Meine Freunde sind mir wichtig, weil wir Gemeinsamkeit

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