Berger, Fabian
Zuhörerraums Platz nahm.
Braun erhob sich von seinem Stuhl und näherte sich den Stufen. Seine Beine waren weich wie Gummi. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Krampfhaft hielt er seine Rede zusammengerollt in den Händen. Mit einem lauten Räuspern verschaffte er sich Gehör und begann mit seinem Vortrag.
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D as kleine Reihenhaus fügte sich mit seinen roten Backsteinen und dem üppig bepflanzten Vorgarten perfekt in das Straßenbild ein. Es strahlte eine Idylle aus, die Lorenz in einer Großstadt wie Köln nicht erwartet hatte. Mit gesenktem Haupt öffnete er das hüfthohe Gartentörchen und schritt auf den Hauseingang zu. Nur noch wenige Sekunden trennten ihn von dem Augenblick, der das Leben zweier Menschen verändern würde. Er beugte sich vor und sah auf die schwer lesbare Schrift des Namensschildes: Hans und Maria Korte. Er versuchte sich zu sammeln und drückte dann auf die Klingel. Der schrille Ton hallte durch das Haus. Dumpfe Schritte näherten sich. Gefolgt von einem leichten Luftzug öffnete sich die Tür und ein weißhaariger Mann trat ihm entgegen.
»Guten Tag, Herr Korte. Mein Name ist Lorenz vom Kriminalkommissariat Köln.«
Der mitfühlende Unterton in seiner Stimme blieb dem Alten offenbar nicht verborgen. Stumm wich er zurück, bat Lorenz aber gleichwohl einzutreten. Nachdem Korte die Tür geschlossen hatte, ertönte aus dem Hintergrund die betagte Stimme einer älteren Frau.
»Hans, wer war das?« Als sie von ihrem Mann keine Antwort erhielt, klang sie besorgt. »Hans ...?« Ihre Stimme war schrill und rau.
Hans Korte trat mit gebeugtem Oberkörper ins Wohnzimmer. Lorenz folgte ihm. Die Frau sah ihrem Mann in die Augen und schien bereits zu ahnen, dass etwas nicht stimmte. Fast ängstlich sprach sie den Fremden an.
»Wer sind Sie?«
»Hauptkommissar Lorenz vom Kriminalkommissariat Köln. Frau Korte, Herr Korte, es tut mir sehr leid.«
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I m Laufe seines Vortrags beruhigte sich Braun bis hin zu völliger Entspannung. Die aufmerksame Reaktion des Publikums beflügelte ihn sogar und ließ ihn in seinen Ausführungen sicherer werden. Jeder Einzelne hing ihm gebannt an den Lippen.
»Wir müssen uns nur die Flut alltäglicher Aufgaben vor Augen führen, die unser Gehirn zu bewältigen hat. Wenn wir sehen, wenn wir hören, riechen und schmecken, selbst, wenn wir nichts tun, ist die Fülle an zu verarbeitenden Informationen unvorstellbar hoch. Es liegt auf der Hand, dass gerade solche Abläufe im Verborgenen, im Unterbewusstsein, stattfinden, da wir ansonsten völlig überfordert wären. Doch, was ist mit all den Entscheidungen, die wir ständig treffen, auch jetzt in diesem Augenblick? Jeder würde behaupten, dass wir sie bewusst fällen, dass sie selbstbestimmt sind. Wir entscheiden, wann wir uns für das Eine oder das Andere entscheiden.« Braun ließ seine Blicke über die Gesichter wandern. »Doch ist es wirklich so? Finden unsere Entscheidungen zu einem Zeitpunkt statt, den wir selbst gewählt haben?« Mit einer kurzen Pause verstärkte er die Dramaturgie seiner Worte. »Ich möchte Sie auf eine Studie aufmerksam machen, die von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, der Charité-Universitätsmedizin Berlin und des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin unlängst vorgestellt wurde, und die genau dies infrage stellt.« Der Professor warf einen flüchtigen Blick auf seine Aufzeichnungen und fuhr sogleich fort.
»Dabei hatten Testpersonen die freie Wahl, ob sie mit der linken oder der rechten Hand einen Knopf betätigen. Gleich darauf sollten sie angeben, zu welchem Zeitpunkt sie glaubten, ihren Entschluss getroffen zu haben. Der Sinn des Experimentes bestand darin, festzustellen, in welchen Gehirnregionen selbstbestimmte Entscheidungen ihren Ursprung haben und ob diese gefällt werden, bevor unser Bewusstsein davon Kenntnis erlangt. Das Ergebnis war verblüffend. Bereits mehrere Sekunden zuvor war eindeutig eine Aktivität des frontopolaren Kortex festzustellen, und ermöglichte so den Wissenschaftlern im Voraus zu bestimmen, welche Hand der Proband auswählen würde. Und zwar mit einer solchen Häufigkeit, dass der Zufall ausgeschlossen werden konnte. Dieses Experiment legt nahe, dass Entscheidungen, von denen wir geglaubt haben, sie bewusst zu treffen, schon im Vorfeld unbewusst eingeleitet, aber noch nicht abschließend gefällt werden ...«
Plötzlich ertönte ein Zwischenruf. »Meinen Sie damit,
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