Berger, Fabian
fragen, in welchem Zustand die Leiche ist?«
Lorenz war etwas irritiert. »Wieso fragen Sie?«
»Wissen Sie, ich bin es nicht gewohnt, Tote zu begutachten, besonders nicht, wenn deren Zersetzung bereits sehr weit fortgeschritten ist.« Der Professor hielt sich angewidert die Hand vor den Mund.
»Sagen wir mal, die Leiche ist nicht mehr ganz frisch.« Lorenz beobachtete Brauns Reaktion aus den Augenwinkeln. »Nur Mut, Herr Professor. Bis jetzt hat es noch jeder, der sie gesehen hat, mehr oder weniger gut überstanden.« Er schmunzelte und steuerte auf die Universität zu, deren Umrisse jetzt erkennbar waren.
»Sagen Sie, worum geht es eigentlich auf diesem Symposium?« Lorenz war neugierig.
»Gedankenaustausch zwischen Wissenschaftlern«, antwortete Braun knapp. Es war ihm ausgesprochen lästig, Laien mit möglichst einfachen Worten ein hoch komplexes Thema erklären zu müssen und sie erfolglos in die Geheimnisse der Neurologie einzuweihen.
Lorenz hakte nach. »Und welche Art von Gedanken?«
Ein Seufzen kam über die Lippen des Professors. »Es geht hauptsächlich um die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Hirnforschung. Therapien, Denkansätze, Forschungsergebnisse. Das Symposium findet jährlich statt, stets an verschiedenen Orten. Die Universität hat sich jahrelang vergeblich bemüht, die Veranstaltung nach Köln zu holen. Letztes Jahr hatte sie mich dann gebeten, meinen Einfluss geltend zu machen und die Werbetrommel zu rühren. Wie Sie sehen, hat sich mein Einsatz ausgezahlt.«
»Ich gratuliere!« Lorenz war durchaus beeindruckt.
Doch Braun winkte ab. »Ach, lassen Sie nur. Ich bereue es bereits. Manchmal ist es nicht so einfach, alte Mauern in den Köpfen mancher Wissenschaftler abzureißen und sie durch Erfolg versprechende Denkansätze zu ersetzen. Es ist geradezu erstaunlich, wie weit es die Forschung trotzdem gebracht hat und gleichzeitig ernüchternd, wenn man darüber nachdenkt, wie weit sie heute bereits sein könnte.«
Lorenz lenkte den Wagen auf den Parkplatz der Pathologie. »So, wir sind da.« Er hielt direkt vor dem Haupteingang. Die beiden stiegen aus und betraten das Gebäude.
Tornsen und sein Assistent Lück waren in ihre Arbeit vertieft und bemerkten Lorenz und dessen Begleiter erst, als sie vor seinem Schreibtisch standen.
»Guten Morgen.« Tornsen reichte dem Professor die Hand. »Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bewundere Ihre Arbeit sehr.«
Lorenz hob ungeduldig die Augenbrauen und gab Tornsen zu verstehen, direkt zur Sache zu kommen.
»Hat der Hauptkommissar Sie schon über die Sachlage informiert?« Fragend blickte er zu Braun.
»In groben Zügen, ja. Ich würde mir gerne ein eigenes Bild machen, wenn Sie erlauben.«
»Natürlich. Deswegen sind Sie ja hier.« Tornsen schritt voraus und winkte die beiden hinter sich her. »Folgen Sie mir bitte.« Er führte sie durch einen langen, von künstlichem Licht erhellten Korridor in einen hellgrün gefliesten Saal mit Edelstahlwänden auf beiden Seiten. Er zog eine der Kühlzellen heraus, und ein Hauch eiskalter Luft strömte ihnen entgegen. Der obduzierte Leichnam lag lediglich von einem Tuch bedeckt direkt vor ihnen. Tornsen zog Latexhandschuhe aus einer Halterung an der Wand. Er bot Braun an, ebenfalls davon Gebrauch zu machen, doch der Professor lehnte dankend ab. Der Rechtsmediziner zuckte mit den Schultern, streifte sich die Handschuhe über und deckte die Leiche auf. Mit prüfendem Blick glitt Braun über den geöffneten Schädel.
»Und was genau möchten Sie jetzt von mir wissen?« Er schaute Lorenz und Tornsen fragend an. Offenbar hatte er die Ausführungen des Hauptkommissars auf der Fahrt hierher bereits vergessen.
Tornsen antwortete. »Bei der Obduktion ist uns aufgefallen, dass dem Opfer ein Teil seines Gehirns chirurgisch entfernt wurde.« Er deutete auf den Stirnbereich. »Meine Vermutung ist, dass es sich hierbei um den frontopolaren Kortex handelt oder um einen Teil desselben.«
Der Professor musste nicht lange überlegen. »Ihre Vermutung ist zutreffend. Es ist eindeutig erkennbar, dass dieser Bereich entnommen wurde.«
Lorenz wollte sich mit Brauns Aussage noch nicht zufriedengeben. »Können Sie mir auch sagen, welche Aufgaben diesem Teil des Gehirns zufallen?«
»Sicher.« Der Professor klang ein wenig gelangweilt. »Der frontopolare Kortex ist ein Teil des präfrontalen Kortex, der die bereits verarbeiteten sensorischen Signale empfängt, sie mit Informationen des
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