Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
umrandeten seine Augen.
Savonarola wetterte nun gegen Völlerei und Wohlleben, sodomitische Buhlerei und Luxus, Simonie und Tyrannenherrschaft. Plötzlich machte er eine Pause, und die Menge starrte ihn erwartungsvoll an. Er verlängerte sein Schweigen und beugte sich über den Kanzelrand, als wollte er in die Menge hineinsteigen, die sich näher herandrängte. Mit einer weitausgreifenden Geste wies er auf Lorenzo und die neben ihm Sitzenden, noch immer, ohne ein Wort zu sagen. Dann hob er langsam seinen Arm und ließ ihn, weiterhin die Menge fixierend, wie ein Schwert fallen. »Du mußt es mit ihnen machen, wie die Römer mit denen, die den Tarquinius wieder einsetzen wollten«, donnerte er. »Gegen Christus nimmst du keine Rücksicht und willst sie gegen einen Bürger nehmen? Laß der Gerechtigkeit ihren Lauf. Schlage ihm den Kopf ab. Und wäre er auch das Haupt der vornehmsten Familie, schlage ihm den Kopf ab!«
Ein tiefes Atmen ging durch die Menge, und einzelne Männer schrien »Ja« und »So soll es sein« und »Tötet sie«. Mehrere Frauen sanken ohnmächtig nieder. Aber Savonarola fing die Erregung der Massen sofort ein und sagte mit leiser, sanfter, beschwörender Stimme: »Ihr wißt, was geschrieben steht: Du sollst Gott mehr als den Menschen gehorchen.«
Wieder sanken Frauen zu Boden. Lorenzo hatte sein Gesicht bedeckt. Cesare starrte auf den Prediger, sein spöttisches Lächeln war eingefroren, und in seinem Blick glomm Bewunderung auf.
Und noch leiser sagte Savonarola: »Gott hat mich zu seinem Werkzeug ernannt, er spricht durch meine Zunge.« Dann schmetterte er über die Köpfe der Menschen hinweg: »Wer mir folgt, folgt Gott. Wer mich verfolgt, verfolgt Gott! So sei es und so ist es und so wird es immer sein!«
Und wieder ekstatische Ja-Rufe aus der Menge, die sich erneut zur Kanzel drängte. Als die ersten an die Pfeiler gepreßten Menschen aufschrien, bewegte sich die Menge wie eine schwere Pechsuppe wieder zurück. Lorenzo, seinen Kopf auf eine Hand gestützt, ließ seinen Blick über die Gläubigen wandern und traf Alessandros Augen. Eine knappe Kopfbewegung und das kurze Hochziehen einer Augenbraue folgten, als wolle er sagen: All das geht vorbei, dem Demagogen werden bald seine Anhänger weglaufen und er kann sich wieder in seine Zelle in San Marco zurückziehen. Cesare schien nachdenklich geworden zu sein. Die Mienen der alten AccademiaMitglieder waren versteinert. Marsilio Ficino beugte immer wieder seinen Kopf zu Lorenzo und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Ugo, Accurse und Giovanni Crispo saßen nebeneinander in der dritten Reihe, halb verdeckt, und starrten erstaunt und ungläubig auf den Prediger.
Savonarola lehnte sich weit über die Kanzelbrüstung und schien die Menge umarmen zu wollen, dann stellte er sich wieder steif auf und schien Gott persönlich anzusprechen: »Zuvor wandte ich mich jedoch an den Herrn und sprach: Ich sehne mich nach Frieden und Ruhe; Du aber hast mich hervorgezogen, indem Du mir dein Licht zeigtest. Ich möchte mich ausruhen und finde keine Stätte. Ich möchte mich stille halten und nicht sprechen, aber ich kann nicht; denn das Wort Gottes brennt in mir wie Feuer und verzehrt mir das Mark in den Knochen, wenn ich ihm nicht Luft mache. Wohlan denn, o Herr, weil Du es willst, daß ich auf dieser hohen See umhertreibe, so soll Dein Wille geschehen.«
»Amen«, brüllten seine Anhänger, und die Menge atmete ein tiefseufzendes »Amen« hinterher.
Alessandro bemerkte, wie Ugo seinen Blick suchte. Ugo formte seine Lippen zu einem Wort, das Alessandro für Lügner hielt, und schüttelte leicht den Kopf. Aber obwohl auch in Alessandros Ohren Savonarolas Bekenntnis verlogen klang und von einer geradezu satanischen Selbstüberschätzung zeugte, fühlte er sich von den Worten doch auf eine seltsame Weise angesprochen. Ihm fielen die Ereignisse der letzten Nacht ein, sein plötzlicher Glaube an Gottes Auftreten, an seine Zeichen und Botschaften, und er fragte sich, ob Savonarola nicht tatsächlich davon überzeugt war, daß Gottes Wort in ihm wie Feuer brenne, daß er geschickt sei, gegen die Mächtigen, die Reichen und die Sündigen der Welt seine Sätze zu schmettern.
Nun wandte sich der Prediger Rom zu.
»Tritt her, verruchte Kirche, höre, was der Herr zu dir spricht: Ich habe dir die schönen Gewänder gegeben, und du hast Abgötterei mit ihnen getrieben. Die Sakramente hast du durch Simonie entweiht. Ein Haus der Unzucht hast du aufgeschlagen, ein Haus der
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