Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
abzulenken, kehrte Alessandro schließlich bei der Kurtisane Livia ein. Er mochte Livia, weil sie ihn in Erscheinung und Auftreten an Rosella erinnerte und weil sie zuließ, daß er in ihren Armen einschlief. Dies war ein süßes Wegtauchen, und bevor er bei ihr in Bewußtlosigkeit versank, dachte er immer: Auf diese Weise zu sterben, das wäre ein wahres Gottesgeschenk. Hinzu kam, daß Livia es für einen symbolischen Preis machte, weil sie, wie er glaubte, in ihn verliebt war.
Als er an das Portal ihres Hauses in der Nähe von Santa Maria del Fiore klopfte, hieß es, sie sei nicht frei, er solle wieder gehen. Er ließ sich aber nicht abweisen, und nach einer Weile erschien Livia tatsächlich. Sie wirkte mitgenommen von den Anstrengungen ihres Berufs. Ihre Augen schauten trübe. »Ich sollte mich nicht auf junge Römer einlassen«, sagte sie seufzend. »Aber du bist ja ein sanfter Liebhaber.« Als sie unter ihrem roten Samtbaldachin lagen, im Licht zweier Kerzen, die am Kopfende flackerten, flüsterte sie: »Laß uns heute nur zusammenliegen. Dein Vorgänger hat mich geschunden wie ein junger Stier. Mir tut alles weh. Du mußt zart sein wie ein Lamm.«
Aber Alessandro konnte in ihren Armen nicht einschlafen. Draußen näherte sich das Gewitter, und Windstöße fuhren durch die Fensterläden und ließen die Flammen der Kerzen verstärkt flackern. Livia schlief inzwischen. Er schaute ihr ins Gesicht, das mit den geschlossenen Augen und dem halboffenen Mund leblos wirkte. In der nächtlichen Schwüle hatte sie die Decke von ihrem nackten Körper gestreift, und Alessandro fielen blaue Flecken an den Beinen und blutige Kratzer auf Brust und Rücken auf, ja sogar Würgemale am Hals. Als ein Blitz ihren Körper für einen Augenblick in ein kalkiges Licht tauchte, erschrak er, weil er glaubte, sie könne tot sein. Leise zog er sich an und verließ das Haus.
Das Gewitter rückte nun näher, aber noch regnete es nicht. Im Palast der Medici angekommen, sah er Lorenzo wie die Bronzefigur eines Philosophen am Brunnen des Innenhofs sitzen und auf den Wasserstrahl starren. Wieder beleuchtete ein Blitz dieses Bild, und nun erfaßte Alessandro eine plötzliche Angst vor dem Tod. Wenn dies alles, was er während der Nacht gesehen hatte, keine göttlichen Fingerzeige waren, dann gab es keine. Er war nicht so abergläubisch wie die meisten Menschen, die an Geisterbeschwörung und Hexensabbat, Nekromantie, Kartenlesen und hundert andere Formen von Magie glaubten, aber er glaubte an die Botschaft der Sterne und daran, daß der Allmächtige den Menschen gelegentlich Zeichen sandte; daß ER manchmal unerwartet auftauchte, obwohl ER als deus absconditus in der Regel so fern war, daß ihn kein Rufen erreichte. Aber in dieser Nacht, während sich ein Gewitter dramatisch näherte, stieß Alessandro zweimal auf das Abbild eines toten Menschen, und dies konnte kein Zufall sein.
Beunruhigt von diesen Zeichen, kniete er sich vor das Kruzifix an der Wand und betete zu seinem persönlichen Gottvater. Aber der Herr antwortete nicht. ER sprach auch nicht durch seinen gekreuzigten Sohn zu ihm. Aber ER war, das spürte Alessandro, heute anwesend. Und seine Anwesenheit gab seinem Sohn Kraft.
Weil alle Müdigkeit endgültig von ihm gewichen war, verließ Alessandro trotz des Unwetters erneut den Palast und wanderte zum Ponte Vecchio. Inzwischen tobte das Gewitter, und Regen stürzte nieder. Viele Menschen strömten in die Kirchen, um zu beten, und, wie er, zu den Ufermauern und Brücken. Der Arno war schon gefährlich angestiegen, und in der schnellen Blitzfolge konnte er die braunen Fluten unter sich fließen und wirbeln sehen. Tierkadaver blieben an den Brückenpfeilern hängen, drehten sich mehrfach und wurden wieder weitergerissen. Und da trieben auch Menschen heran. Ein Aufschrei ging durch die Menge. Eine Mutter mit einem kleinen Kind, das sie noch an sich preßte! Alessandro glaubte, sie lebe noch, und ohne nachzudenken, stieg er auf die Brüstung, um hinabzuspringen und sie zu retten.
Die Elemente waren in Aufruhr, Wassermassen rauschten ihm entgegen, und eine Serie von Blitzen ließen den Fluß, die Häuser und die Menschen um ihn herum in grellen Zuckungen tanzen. Die krachenden Donnerschläge übertönten alles, auch das Geschrei der Menge. Er sah nur noch geöffnete Münder, Arme, die sich nach ihm ausstreckten, Hände, die nach seinen Beinen und Armen griffen. Noch einmal sah Alessandro die junge Mutter mit ihrem Kind, aber nun löste
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