Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Ancona verließ, kehrte er unerwartet um und erhielt eine gutbezahlte Stelle beim päpstlichen Heer. Meistens hielt er sich jedoch in seiner Burg in Bassanello auf.
Die Orsini hatte sich der neue Papst nicht zu Freunden gemacht. Da Giulia eine Farnese war und die Farnese aus alter Tradition und nachbarschaftlicher Nähe heraus gute, häufig auch eheliche Verbindungen mit den Orsini pflegten, bedeutete dies für Alessandro einen Balanceakt. Immerhin gelang es ihm, den Aufruhr der Orsini ein wenig zu dämpfen, aber untergründig brodelte es weiter. Insbesondere Fürst Virginio Orsini, der Herr von Bracciano, einer der obersten Heerführer des Papstes, grollte unverhohlen.
Alessandros Rechnung ging jedoch auf. Kaum war Rodrigo Borgia Papst geworden, wurde Alessandro Farnese zum päpstlichen Thesaurar ernannt. Damit hatte er eins der wichtigsten Ämter in der Kurie übernommen. Und ein Jahr später, im September 1493, wurde er, gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt, zum Kardinaldiakon von Santi Cosma e Damiano ernannt – obwohl er bisher nur die niederen Weihen empfangen hatte. Die Familie war zufrieden, am meisten seine Mutter Giovannella, und natürlich mußte dieses Ereignis gefeiert werden. Und welcher Ort kam für eine solche Feier besser in Frage als die Isola Bisentina, idyllisch gelegen im Lago di Bolsena, ein kleines Arkadien. Es sollte ein großes Fest werden, das zeigte, daß die Familie Farnese aufzusteigen begann und sich in Zukunft durchaus mit den Orsini und Colonna, Caetani und Savelli messen konnte.
Und es wurde ein großes Fest.
Als die Gäste längst wieder nach Rom oder auf ihre Landsitze zurückgekehrt waren, ruderte Alessandro an einem sonnigen und warmen Oktobertag mit seinem Bruder Angelo, der seit seiner Rückkehr aus Venedig entweder der Mutter Gesellschaft leistete oder in Rom eine Frau suchte, zur Insel, um an ihrem Lieblingsplatz, der von Felsen eingeschlossenen, lauschigen Westecke, zu schwimmen und den Tag zu verträumen. Eine Weile lagen sie in der Sonne, beobachteten die Möwen oder starrten einfach nur in den von den Zweigen und Blättern großer Steineichen halb verdeckten Himmel. Alessandro kletterte schließlich auf den hoch über das Wasser aufragenden Sirenenfelsen .
Die junge Giulia hatte sich nach einem Bad dort oben einmal zum Trocknen in die Sonne gelegt, nackt wie eine griechische Nymphe, und schließlich zu singen begonnen. Alessandro hatte sich herangeschlichen, um ganz in ihrer Nähe zu sein. Sie hatte ihn völlig mißverstanden, aber zum Glück war alles ohne Streit und ungute Gefühle abgegangen. Wie ja überhaupt die Insel im See Ort mancher Abenteuer gewesen war. Als Angelo kurz zuvor darauf angespielt hatte, war Alessandro wieder die Überfahrt während eines heftigen Tramontana-Sturms eingefallen. Damals hatte er beinahe seinen Bruder verloren, und noch heute dachte er ungern an dieses Ereignis.
Während Alessandro sich in der warmen Oktobersonne ausstreckte, schwamm sein Bruder in den See hinaus. Auch Angelo war ein guter Schwimmer geworden. Selbst Giulia genoß bis heute die Freiheit, gelegentlich mit ihren Brüdern auf die Insel zu rudern, über die alten Zeiten zu plaudern, zu schwimmen und auf dem Sirenenfelsen zu träumen.
Alessandro schloß die Augen und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Wieder drehten sie sich um die Entwicklung der letzten Jahre, und wieder kam er zu dem Urteil, er habe damals richtig gehandelt, der Kuppelei der alten Vettel nicht entgegenzuarbeiten, sondern sie für die eigenen Zwecke einzusetzen. Seine Schwester Giulia war nicht für einen Orso Orsini geschaffen, dies hatte auch ihre Mutter inzwischen erkannt, sie durfte ihren magischen Schatz, dieses einmalige Gottesgeschenk der Schönheit, nicht verkümmern lassen hinter den dicken Mauern einer abgelegenen Orsini-Burg. Nicht nur ein Auge durfte auf ihr ruhen, viele Augen mußten sie anschauen. Auf diesem meist bewegungslosen oder nur fein lächelnden Gesicht lag der Widerschein der höchsten Liebe, wie sein alter Meister Marsilio Ficino anbetend betont hätte. Und nun war La Bella Giulia zur Konkubine eines Papstes geworden, erzog die Papsttochter Lucrezia und herrschte wie eine Königin in einem Palast, der direkt an den Vatikan grenzte. Und sie ging im Hort der Zölibatäre ein und aus. Die Frommen und Buchstabengläubigen unter den Kardinälen und Prälaten murrten zwar gelegentlich über die verlotterten Sitten unter dem neuen Papst, aber sie alle genossen Giulias Anblick, als
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