Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Seite geschoben, nein, heruntergerissen. Die langen düsteren Gänge des Hauses hatten tausend Verstecke und überall Augen. Silvia beobachtete, wie Rosella ihren Vater in eine Ecke des Hauses zog und heftig auf ihn einredete. Er schüttelte den Kopf, drückte sie dann aber an die Wand und hob ihren Kittel. Sie wehrte ihn ab und flüsterte etwas, wies auf den sich schwach vorwölbenden Bauch. Dann drehte sie sich bereitwillig um und bückte sich.
Silvia sah, wie ihr Vater sich mit gebeugtem Rücken hechelnd an Rosella krallte und sein Becken immer wieder stoßweise gegen ihr Hinterteil drückte. Ekel und Abscheu ließen Silvia tagelang nichts essen. Sie kniete vor dem kleinen Elfenbeinkruzifix in ihrem Zimmer und betete unaufhörlich. Wenn sie nicht betete, las sie in der Bibel. Nachts träumte sie von dem Überfall, immer wieder tauchten die dreckigen Gestalten auf und griffen ihr zwischen die Beine, dann machten sie sich über Rosella her, legten eine ihrer Brüste frei, wie auf den Bildern der Muttergottes, und leckten daran oder nahmen sie in den Mund, wie der Jesusknabe, aber nun verwandelten sie sich in ihren Vater, und schließlich kam Alessandro wie der heilige Georg herangeritten und durchbohrte ihn mit seiner Lanze. Silvia wollte schreien, brachte aber keinen Laut heraus. Am Morgen war sie noch ganz benommen.
Erst auf der Dachterrasse kam sie zu sich, versuchte, alle schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen, nur ihn nicht, ihren Retter. Ihn wünschte sie sich groß, stark und strahlend. Aber sie brauchte es sich nicht zu wünschen. Er war groß, stark und strahlend. Wieder in ihrem Zimmer, schrieb sie Alessandro einen Brief. Ein Knecht sollte ihn überbringen. Er habe den Brief abgeliefert, erklärte der Knecht, aber trotzdem antwortete Alessandro nicht und besuchte sie noch immer nicht.
Eines Tages gelang es Silvia, ihren Vater nach ihm zu fragen, und er erzählte ihr, Alessandro Farnese sei in die Engelsburg gesperrt worden, der Heilige Vater persönlich habe dies angeordnet.
Entsetzt rief sie: »Das darf er nicht!« Und nach einer kurzen Pause: »Ich will zu ihm!«
Der Vater lachte sie aus.
Silvia verstand ihn nicht mehr und begann zu weinen.
»Gut«, sagte er, »ich werde mich erkundigen, warum man ihn in den Kerker geworfen hat.« Nach einer Weile, als Silvia nicht aufhören wollte, laut und verzweifelt zu schluchzen, fügte er ernst an: »Der Papst ist leicht erregbar und launisch; außerdem ist er Wachs in den Händen von Kardinal della Rovere. Wer weiß, was die beiden gegen die Farnese im Schilde führen. Die Familie Farnese stand immer auf Seiten der Orsini, und die Orsini betrachtet der Papst zur Zeit als Verbündete seiner Feinde.« Als Silvia sich noch immer nicht beruhigen wollte, nahm er sie seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in den Arm. »Dein edler Retter wird schon wieder freikommen. Wahrscheinlich ist alles ein Mißverständnis. Du bist wohl verliebt in ihn?«
Silvia entwand sich seinen Armen und rannte in ihr Zimmer. Sie verschloß die Tür, kniete nieder und betete, noch immer weinend, zu Maria, der Gnadenreichen. Warum half ihr die Muttergottes nicht, die Verwirrungen, die Schmerzen, das Fieber und die Sehnsüchte zu überwinden?
Rosella verbarg inzwischen nicht mehr, daß sie jeden Abend zu dem Vater ins Bett kroch, und ließ sich von den Kammerfrauen der Mutter bedienen, als wäre sie die Herrin des Hauses. Sie legte sich lange in einen dampfenden Badezuber, das Wasser duftete betäubend nach Kräutern, und sang leise vor sich hin. Sie rief Silvia zu sich, strich ihr über den Kopf, und forderte sie auf, ihr Petrarca-Verse vorzusingen. Silvia tat es widerwillig. Rosella war schließlich nichts anderes als ihre Kammerfrau gewesen, und nun sorgte an ihrer Stelle ein dicklicher Trampel aus Trastevere für sie, während Rosella ihren sich rundenden Leib pflegte. Der Lehrer, bei dem Silvia das Lautespiel lernte, begab sich nach den Unterrichtsstunden zu Rosella, und dann hörte Silvia auch sie zupfen und danebengreifen. Aber sie griff nur anfangs daneben. Sehr schnell, dies mußte Silvia sich eingestehen, spielte Rosella fast ebenso geschickt wie sie selbst, und als sie dann auch noch zu singen begann, mußte Silvia weinen vor Neid und Rührung. Rosellas Stimme klang weich wie Samt und klar wie ein Glockenton von Santa Maria della Pace.
Endlich erhielt Silvia einen Brief von Alessandro. In ihrer Aufregung achtete sie nicht darauf, daß sein Siegel erbrochen war.
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