Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Seine Schrift zog sich in langen Schwüngen über das Papier, insbesondere die Schleifen glitten tief unter die Zeile. Das »g« zum Beispiel schien hinabstürzen zu wollen, kopfüber, aber dann riß es sich wieder hoch und setzte seine Reise auf dem Papier ruhig fort. Stundenlang hätte Silvia mit ihren Fingern der Feder nachfolgen können.
Zu ihrem Vater kam manchmal eine Zigeunerin, die in seiner Hand las und die tatsächlich einen Bruch in seiner Lebens- und Herzlinie festgestellt hatte. Ihr zeigte sie Alessandros Brief. Die Augen der Zigeunerin verdunkelten sich, und sie verlangte erst einmal einen Dukaten. Über diese Geldgier war Silvia so verärgert, daß sie die Zigeunerin davonjagte. Später bereute sie ihre Tat.
»Liebste Silvia«, schrieb Alessandro. O Gott, war sie wirklich seine Liebste? »Horaz schrieb einmal: Das Schicksal stiftet Unglück, damit wir besser unseren Wert erkennen können. So mag es Dir ergangen sein, so ergeht es mir jetzt. Nach Deiner wundersamen Rettung, durch die der Allmächtige unsere Lebenswege hat kreuzen lassen, hat ER mich nun in den Kerker geführt. Der Heilige Vater selbst war SEINE rechte Hand. Statt auf die Jagd zu gehen (und Dich retten zu dürfen), hätte ich bei ihm sein müssen, um den Entwurf eines breve zu notieren. Seine Heiligkeit war tief gekränkt, und in Demut muß ich gestehen, daß ich sehr nachlässig meinen Pflichten nachgegangen bin, seitdem mein Vater mir vor vier Jahren das für einen Vierzehnjährigen ehrenvolle Amt eines apostolischen Skriptors erworben hat. Aber so wie nicht nur ein einziger Planet über das Firmament zieht und in manchen Jahren Mars und Saturn in Konjunktion stehen, so mögen viele Gründe sich in einer Tat verdichten, und nur der Allwissende überschaut sie alle. Wenn sich unsere Lebensbahnen nun gekreuzt haben – als begegneten sich Venus und Jupiter –, so war auch dies schon am Firmament vorgezeichnet. Wie meine Schwester Giulia warst Du mir vertraut. Oder als sei ich Dir schon in einem früheren Leben begegnet.
Giulia wirst Du hoffentlich eines nicht allzu fernen Tages kennenlernen. Sie ist nur wenig älter als Du, aber beide entsteigt ihr wie die schaumgeborene Venus auf der Muschel dem tiefblauen, sanft schimmernden Meerestraum des Weltenschöpfers, um den jungen Männern von Rom den Kopf zu verdrehen. Euer Bildnis hilft mir, die Tage im Kerker mit Gleichmut zu überstehen. Der HERR weiß, was ER tut. ER prüft uns, damit wir stärker werden. Dies gilt auch für Dich, meine liebste Silvia. Schließe mich in Deine Gebete ein, Dein Alessandro.«
Dann folgte noch ein Postskriptum: »Ungehörig ist es von mir, Dich so vertraut anzureden. Aber ich folge der Stimme meines Herzens. Cor , unde venis? fragt der Dichter. Mein Herz, wohin wirst du noch gehen?« Ein zweites Postscriptum folgte: »Gräme Dich nicht, daß Dein Retter nicht Sommerluft atmen kann. Meine Familie darf mich mit dem Notwendigsten versorgen. Das Schlimmste an meinem Los ist, das Sonnenlicht Deines Antlitzes nicht in der Düsterkeit meiner Zelle leuchten zu sehen, sondern von ihm nur träumen zu dürfen.«
Silvia drückte den Brief an ihre Brust und fühlte ihr Herz pochen. Ihr Alessandro mußte, weil er sie gerettet hatte, im Kerker schmoren! Er durfte nicht das Sonnenlicht sehen, den Strahlenkranz, den Abglanz des Allmächtigen. Er sehnte sich nach ihr! Am liebsten wäre sie zu ihm geeilt und hätte ihn befreit. Ja, sollte sie versuchen, eine Audienz beim Heiligen Vater zu beantragen, und um Verzeihung bitten für seine Nachlässigkeit? Aber durften Frauen überhaupt den vatikanischen Palast betreten?
Sie fragte Rosella.
Rosella strich ihr lächelnd über den Kopf und sagte nur: »Mein Kind!«
Silvia trumpfte auf: »Aber Alessandro hat auch dir das Leben gerettet.«
»Ich liebe ihn dafür.« Rosella antwortete mit einem spöttischen Lächeln und brach dann in lautes Lachen aus. »Verstehst du, wir lieben ihn beide.« Sie schürzte die Lippen und warf Silvia einen Kuß zu.
Verwirrt schaute Silvia auf.
»Ach, Piccolina!«
»Nenn mich nicht so!« herrschte Silvia sie an.
»O verzeiht, Contessina!« Sie verbeugte sich, soweit ihr dicker Bauch es ihr erlaubte, und rauschte dann hinaus. Erst jetzt sah Silvia, daß sie ein Kleid ihrer Mutter trug und auch die Ohrringe der Ruffini.
Tagelang dachte Silvia über ihr Gespräch nach, und dabei wurde sie immer trauriger. Ja, sie überfiel eine melancholia , die durch die Gedanken an Alessandros Kerkerhaft noch
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