Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Skrupellosigkeit, Taktiken der Verstellung. Aber wo lag ihre Achillesferse?
Alessandro wollte Cesares Bemerkung über Silvia vergessen. Er versuchte, das Bild der aus einunddreißig Wunden blutenden Rosella loszuwerden. Er überlegte, nach Capodimonte zu reisen, gab seinen Plan aber sofort wieder auf. Um wieder auf andere Gedanken zu kommen, um wieder Kraft und Leben in seinen Gliedern zu spüren, gab er seine Enthaltsamkeit auf und suchte die Arme junger, frischer Kurtisanen. Für kurze Zeit konnte er die Auflösung, ja die Auslöschung des Alessandro Farnese, des Kardinals von Santi Cosma e Damiano, genießen. Aber sobald der Rausch verflogen war, betrachtete er lange seinen nackten Körper, der nicht mehr so muskulös aussah wie der Körper der griechischen Olympioniken und der auch nicht die Kraft des Cesare Borgia besaß. Ohne Kardinalsrobe, ohne Jagdkleid, ohne Seidenwams und zweifarbige Beinkleider stand er einem Menschen gegenüber, der ihm seltsam fremd war.
Noch fremder wurde er sich, als eines Tages Geschwüre auf seiner nackten Haut wuchsen. Wilde Schmerzen fesselten ihn ans Bett, der Schlaf floh ihn. Er wußte, daß die Lustseuche auch ihn erfaßt hatte. Und seltsam klar stand vor seinen Augen, daß er nun sterben würde. Er war noch nicht einmal vergiftet worden oder einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Er starb nicht ehrenvoll in einer Schlacht wie Angelo. Nein, wie sein Vetter Ranuccio starb er an dieser heimtückischen Krankheit, die von den Franzosen hinterlassen worden war. Es mußte so sein, die Familie sollte ausgelöscht werden. Dies war Gottes Plan. Ja, Alessandro Farnese hatte Gottes Gerechtigkeit angezweifelt, ihn beschimpft, geleugnet sogar, und nun rächte ER sich. ER strafte die Familie Farnese, indem ER sie langsam auslöschte. Nun schickte ER Giovannella Caetanis Zweitgeborenen zur Hölle. Zurück blieb der kränkelnde Pietropaolo. Der Papst brauchte nicht lange zu warten, das Lehen einzuziehen und es seinem Sohn Cesare zuzuschieben.
Alessandro wagte nicht, seiner Mutter und seiner Schwester eine Nachricht von seiner Krankheit zukommen zu lassen. Nein, niemand durfte davon wissen. In seinem Zustand ertrug er nicht, besucht zu werden. Er war ein Aussätziger. Er konnte die Schwäche nicht ertragen, mit der er seinen Besuchern ins Gesicht sehen mußte. Und die tödliche Angst in den Augen seiner Mutter ertrug er auch nicht. Sie wußte, was ihnen drohte. Und Giulia wußte auch, daß ihr Liebesopfer sinnlos gewesen war. Alles war sinnlos, alles!
Alessandro bäumte sich trotz der Schmerzen auf. Er hatte sich immer stark gefühlt, auch in den trübsten Momenten, die er in dem Verlies der Engelsburg hatte ertragen müssen. Ihm war es gelungen, Kardinal zu werden. Aber die von ihm geliebte Frau hatte er nicht halten können, und er hatte auch nicht verhindern können, daß die Kurtisane Rosella so brutal mißhandelt wurde. Ja, er hatte die Gewaltakte sogar mit ansehen müssen. Dabei haßte er Gewalt. Im Grunde wollte er ein guter Mensch sein, der anderen Menschen half, zu dem andere Menschen aufschauten, den seine Mitmenschen liebten. Aber gleichzeitig wollte er auch leben. Sich hineinstürzen in das Treiben der Welt. Angesehen sein, einflußreich, mächtig. Ruhm wollte er ernten. Und eine Frau lieben, Kinder haben. Viele springlebendige Kinder, für die er sich aufopfern würde! Sie würden es ihm danken und es weit bringen in der Welt.
Aber Rosella hatte seinen Wunsch von sich gewiesen.
Silvia heiratete Giovanni Crispo.
Und er, Alessandro Farnese, der Sohn des Pierluigi Farnese, der letzte dieses Geschlechts, er mußte sterben.
Gott löschte ihn aus.
Aber warum löschte ihn Gott aus, wenn er die Borgia am Leben ließ? War etwa der Stellvertreter Christi ein Ausbund an Frömmigkeit und Gottesfurcht? Und sein Sohn Cesare ein Vorbild an Tugend und Sündenlosigkeit? Warum liebte Gott die Borgia mehr als die Farnese? Warum hatte er die eine Familie ausgewählt und nicht die andere?
Alessandro warf sich in seinem stinkenden Bett trotz der Schmerzen herum. Er nahm das Kruzifix von der Wand und hätte es beinahe in den Kamin geworfen. Aber dann hängte er es wieder an den Haken und sprach ein Credo . Er wurde ruhiger und wußte: Niemand strafte ihn, er unterlag einfach einem blindwütigen Schicksal. Aber er wollte nicht einfach unterliegen. Und noch war er nicht tot. Solange er atmete, würde er kämpfen! Es starben nicht alle an dem morbo gallico – warum dann er!? Was hatte Horaz
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