Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
hinter vorgehaltener Hand wurde weiter von dem »jungen Kardinal« gesprochen. Aber niemand meinte damit Alessandro Farnese, sondern den Sohn des Papstes. Vielleicht dachte sein Rivale daran, so überlegte sich Alessandro, ihn aus dem Weg zu räumen, indem er Rosella einen Rachemord unterschob. Auf diese Weise könnte er sie dem Henker übergeben und sich dabei gleichzeitig zweier Zeugen entledigen.
Während Alessandro jeden Tag den Dolch eines Attentäters erwartete, verlor er die Lust an der körperlichen Liebe. Zu sehr standen ihm auch noch die Bilder der Massenvergewaltigung vor Augen. Um sich abzulenken und gleichzeitig zu beschäftigen, studierte er, wie in alten Zeiten, Platons Apologie . Bewundernd dachte er an den alten Philosophen. Ja, wer so standhaft und unbeschwert wie Sokrates den Schierlingsbecher nehmen konnte! Im Kreis der Schüler und Geliebten sich niederlegen und nicht wieder aufwachen. Aber wo waren seine Geliebten? Wo waren seine Freunde? Würden sich Silvia und Ugo, Accurse und Rosella, Crispo, Pico und wer auch immer um ihn scharen, wenn er in ungebrochener Würde dahinschied? Noch nicht einmal Mutter und Schwester standen ihm in diesen Zeiten zur Seite.
Aber er wollte sie auch nicht sehen.
Als er nach Wochen noch immer keinen Anschlag erlebt hatte, zog Alessandro wieder die Purpurrobe seines Amtes über und begab sich ins Konsistorium. Er glaubte nun nicht mehr an einen Racheakt. Er fühlte sich plötzlich wieder sicher. Aufmerksam betrachtete er die Ränkespiele der Kardinäle und ihre Kämpfe um die besten Happen , wie man sagte; er beobachtete mit Gleichmut und ohne sich einzumischen ihre Streitereien, die oft genug in Beschimpfungen und Beleidigungen ausarteten. Seine Rolle war die des freundlichen, neutralen Gonella -Günstlings, des jungen Mannes, den niemand so recht ernstnehmen mußte, obwohl er sich immer wieder durch klarsichtige Analysen und einsichtige Ratschläge Gehör zu verschaffen wußte. Zelebrierte der Papst seine Auftritte in vollem Ornat oder trat er mit seinen drei Söhnen Cesare, Juan und Jofré sowieso seiner Tochter Lucrezia im Prunk einer Heiligen Familie auf, verbarg sich Alessandro hinter seiner Rolle wie hinter einer Maske und berichtete in geheimen Briefen della Rovere von den Vorkommnissen im Vatikan.
Cesare, der als der jüngste Kardinal im Konsistorium häufig neben Alessandro saß, übersah ihn entweder oder grinste ihn in verschwörerischem Hohn an. Als Onkel Caetani einmal, wenig zum Thema passend, die Geschichte von Judith und Holofernes zwar kurzatmig, aber dafür in nicht enden wollenden Sätzen erläuterte, flüsterte Cesare ihm völlig unerwartet zu: »Den Auftritt, den deine Rosella vor dem Bargello hingelegt hat, hätte ich gerne gesehen. Sie hat den Feigling ganz schön ins Schwitzen gebracht. Als er mir von dem Vorfall berichtete, schlotterten seine Knie noch immer, und er bekreuzigte sich. Mein Gott, was verachte ich die Mucker!« Cesare lachte verächtlich auf.
Alessandro schaute auf seinen Onkel, der noch immer nicht aufhören wollte, die exempla der Apokryphen auszulegen, und flüsterte: »Sie ist nicht meine Rosella.«
»Aber sie lebt bei deiner Silvia.«
»Silvia Ruffini ist auch nicht meine Silvia.«
Cesare lachte erneut auf. Kardinal Caetani lächelte geschmeichelt, weil er glaubte, sein Hinweis auf die »Gefahren des Wollustschlafs« habe Cesare zum Lachen gebracht.
»Nein, da hast du recht, sie ist demnächst Crispos Silvia«, fuhr Cesare so laut fort, daß sich die neben ihm sitzenden Kardinäle nach ihm umdrehten.
Alessandro antwortete nicht und starrte auf den Boden.
Cesare legte ebenfalls eine kurze Pause ein, dann flüsterte er: »Was bist du für eine schlappe Memme geworden, Farnese. Hast du die Zeiten vergessen, als du mit Mirandola das verheiratete Hühnchen aus dem Bett geholt hast? Davon sprach man sogar in Perugia. Wenn dir der Crispo im Weg ist – es gibt immer unauffällige Möglichkeiten – eine Übelkeit mit Todesfolge, ein Jagdunfall … Und falls du das Abenteuer von damals wiederholen willst: Sag mir nur Bescheid, ich bin dabei. Und ich verspreche dir, diesmal haben wir mehr Erfolg. Veni , vidi , vici .«
Alessandro mußte noch lange über Cesares Vorschlag nachdenken. Er stieß ihn ab, ja, er widerte ihn an. Gleichzeitig bewunderte er seine unverfrorene Art. Allerdings war ihm nicht klar, ob ihm Cesare nicht eine Falle stellen wollte. Von Vater und Sohn Borgia konnte man einiges lernen. Charmante Härte,
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