Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Avignon versetzt .
»Und warum hat man Accurse kaltstellen wollen? Er hat doch keinem etwas getan«, fragte Alessandro.
Ugo, der seinen Kopf auf die Hände gestützt hielt, antwortete dumpf: »Er wußte zuviel. Er hatte vielleicht Beweise, die den Mörder eindeutig überführen konnten. Dies wußte auch der Papst. Und dem Heiligen Vater war klar, daß alle, die zuviel wissen, gefährlich, aber auch gefährdet sind. Wenn der Wolf erst einmal zugebissen hat, wird sein Blutdurst sich nicht mehr stillen lassen.«
»Du meinst, Cesare hätte ihn …«
Ugo nickte und flüsterte: »Niemand nennt seinen Namen.«
»Und warum bringst du dich selbst in Gefahr mit solch einer verrückten Tat?«
Ugo sah ihn erstaunt an. »Verrückt? Ich wollte für Accurse etwas Gutes tun. Ihn und seinen kleinen Sohn absichern in seinem provençalischen Exil.«
»Ja, aber …«
»Ich weiß …« Ugo sah Alessandro aus schweren, dunkel umrandeten Augen an. »Ich halte es nicht mehr in Rom aus. Täglich ekelt es mich mehr. Ich lebe mitten in einem Sumpf. Man tritt und tritt und sinkt immer tiefer ein. Längst mußte ich Epikurs Ratschlag für ein glückliches Leben vergessen. Als ich plötzlich nicht mehr in Diensten della Roveres stand, sondern zum apostolischen Skriptor ernannt wurde, ohne daß man mich gefragt hatte, wußte ich, daß ich die Kontrolle über mein Leben endgültig zu verlieren begann.« Er unterbrach sich kurz und fuhr dann fort: »Ich werde nach Avignon gehen und dort im Verborgenen leben .«
»Was sagt della Rovere dazu?«
»Er sucht wieder Anschluß an Borgia. Auch er würde mich ohne weiteres opfern.«
Alessandro verstand noch immer nicht, was Ugo zu seiner waghalsigen Hilfe getrieben hatte. »Und wenn man dich nun eingekerkert hätte? Dann hättest du im Verborgenen sterben können!«
Ugo nickte. »Diese Gefahr war mir bewußt. Mir war sie gleichgültig, als ich die Liste ergänzte. Du wirst es nicht glauben: Auch deine Schwester gab mir die Kraft, etwas zu tun, was mich befreien sollte. So oder so.«
»Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?«
Ugo sah ihn gelassen an. »Vor noch nicht langer Zeit. In der Nacht, als Vannozza Cattanei ihr großes Fest feierte.«
Alessandro wollte nicht glauben, was er hörte. »In der Nacht?«
»In der Nacht.«
»Und sie hat dich empfangen?«
»Sie hat mich empfangen.«
»Bist du zum Papagei geworden?« fragte Alessandro verärgert.
Ugo schwieg, und Alessandro mußte erst einmal auf sich wirken lassen, was sein Freund gerade gesagt hatte. Sie sprachen eine Weile überhaupt nicht mehr. Alessandro fühlte eine seltsame Kälte in sich hochkriechen. Sein alter Freund hatte etwas erreicht, was er ihm nie zugetraut hatte. Und alles hinter seinem Rücken. Auch Giulia hatte Ugo nie erwähnt. Er fragte schließlich: »Wann verläßt du Rom?«
»In drei Tagen.«
Und dann sagte Ugo etwas, was Alessandro noch mehr überraschte als das, was er gerade gehört hatte: »Willst du nicht mitkommen?«
Er verstand die Frage nicht. Dann wurde ihm klar, er sollte mit seinen Freunden in die Verbannung gehen. Ins Exil. Er, Alessandro Farnese, der Kardinal von Santi Cosma e Damiano! Zuerst wollte er die Aufforderung brüsk zurückweisen, doch dann besann er sich. Was stand dahinter? Glaubten seine beiden Freunde, er sei gescheitert? Er würde es nie mehr zu etwas bringen, weder bei der Kurie noch im privaten Leben? Oder glaubten sie, ihm drohe Gefahr? Er könnte doch noch verdächtigt werden, Beihilfe geleistet zu haben am Mord an Juan Borgia, er könnte abgesetzt werden, eingesperrt? Oder womöglich sogar umgebracht!? Warum sprach Ugo nicht wirklich offen mit ihm?
Ugo sah ihn aus traurigen Augen an.
Für einen Augenblick schien es Alessandro verlockend, Rom zu verlassen. Vielleicht befand er sich tatsächlich in Gefahr. Vielleicht sollte auch seine Familie, wie die Orsini, enteignet und vertrieben werden. Vielleicht konnte er durch seinen Weggang den gordischen Knoten, der ihn mit Silvia verknüpfte, durchtrennen. Aber wie sollte er den Papst dazu bringen, ihm eine Aufgabe in Avignon zuzuweisen – ohne Verdacht zu erwecken?
Ugo gab die Antwort: »Zur Zeit ist die Stelle des Legaten für das Comtat in Frankreich unbesetzt. Ich sehe niemanden, der sie gerne übernähme. Du könntest dem Papst vorschlagen, dich dorthin zu schicken.«
»Was würde Giulia dazu sagen? Und meine Mutter? Und …«
»Silvia würde weinen, aber ihr Leben würde leichter.«
»Du willst, daß ich mich selbst
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