Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Kirche dazu sagt«, sagte Rosella.
»Die Kirche, was interessiert mich die Kirche! Alessandro ist die Kirche, er ist ihr Stellvertreter, der Vater dieses Kindes – o Gott, wäre ich doch nicht nach Capodimonte gereist!«
Aber Silvia wußte genau, daß sie nur daherredete. Das Kind starb nicht, nicht in den nächsten Tagen, nicht in den nächsten Wochen, und sie hatte es auch nie sterben sehen wollen. Es war tatsächlich eine Entscheidung gefallen.
Als es dämmerte, ging sie mit Rosella zur Abendmesse.
»Was soll ich tun?« fragte sie sie, als beide nach der Rückkehr auf der Dachterrasse saßen. Eine milde Herbstnacht lächelte ihnen zu, und der Mond stand wie damals in einer riesigen Scheibe über dem Horizont.
»Giulia Farnese hat es dir vorgelebt.«
»Aber Alessandro ist kein Papst. Er ist noch nicht einmal besonders reich. Dies habe ich längst begriffen. Giovanni ist auf jeden Fall reicher. Außerdem: Weißt du, ob nicht der Papst Alessandro kaltstellt und die Lehen der Farnese einzieht? Denk an die Caetani. Vielleicht sperrt der Borgia ihn sogar ein. Soll ich als die ehebrecherische Geliebte eines Häftlings vor meinen Mann treten?«
Als Silvia an Giovanni dachte, daran, daß sie ihm gestehen mußt was geschehen war, brach sie in Tränen aus.
Rosella tröstete sie nicht.
Silvia fühlte sich erbärmlich allein.
Dann sagte Rosella etwas, was sie kaum glauben konnte. »Du allein kannst Alessandro retten. Wenn du wagst, ihm zur Seite zu stehen, wirst du sein Geschlecht groß machen, und du wirst wirklich benedicta in mulieribus sein.«
»Als Ehebrecherin?«
»Als Ehebrecherin!«
»Und woher weißt du das?«
Rosella hüllte sich in Schweigen.
Silvia starrte in ein grausames Medusengesicht. Die Haare kringelten und wellten sich wie Schlangen. Und dann der irre Blick aus dem einen Auge!
In diesem Moment sehnte Silvia zum ersten Mal Giovanni herbei. Aber wo war ihr Giovanni jetzt, da sie ihn brauchte? Er schrieb ihr belanglose, geschwätzige Briefe und besuchte dann wahrscheinlich eine der venezianischen Kurtisanen.
Silvia starrte auf das Gemälde an der Wand, auf die nackte fliehende Frau und den Mann, der, wild sein Schwert schwingend, sie verfolgte, um ihre Liebe zu erzwingen. Immer schon hatte sie das Bild gehaßt, auch wenn es von dem berühmten Botticelli stammte und eine Novelle des noch berühmteren und von ihr durchaus geliebten Boccaccio illustrierte.
»Manchmal muß ich an Sandro denken, unseren Sandro. Er hatte seine Augen«, sagte sie.
Das große, blutunterlaufene Auge Rosellas zuckte.
»Ich will das Kind behalten«, fuhr Silvia fort. Sie ließ ihren Blick zu Michelangelos Madonnenrelief wandern und zu dem Bildnis der Heiligen Familie. »Auch wenn es sein Kind ist und nicht Giovannis. Giovanni wird mir die Sünde verzeihen, wenn ER sie mir verzeiht. Ich kann nicht als Ehebrecherin leben. Wenn mir jemand Sandro und Tiberio nähme – ich würde sterben.«
Rosella schwieg.
Noch am selben Abend setzte sich Silvia an ihr Schreibpult und teilte Alessandro ihren Entschluß mit. Der Brief endete: »Ich darf Dich nicht wiedersehen, Alessandro, und Du wirst Dein Kind nie sehen dürfen. Es wird Giovannis Kind sein.«
52. K APITEL
Alessandro freute sich schon darauf, Silvias Kinder, die ihm so lieb zugewinkt hatten, in den Arm zu nehmen. Er hatte Silvia ganz bewußt allein gelassen und sich zum Angeln zurückgezogen, um ihr ein wenig Zeit zu lassen, sich mit der neuen Lage anzufreunden, auch um seiner Schwester Giulia die Möglichkeit zu geben, mit ihr zu reden. Hinzu kam, daß auch er selbst nachdenken wollte. Die Nacht auf der Insel hatte ihnen die Erfüllung ihrer Liebe gebracht – genaugenommen, die erste Stufe der Erfüllung. Die zweite bestünde in einem Konkubinat, die dritte in einem gemeinsamen Kind. Er mußte sich allerdings im klaren sein, daß die zweite Stufe am schwierigsten zu erklimmen war. Aber nachdem er gespürt hatte, wie sehr ihn Silvia liebte, zweifelte er nicht mehr daran, sein Ziel zu erreichen.
Störend war zur Zeit allerdings der Borgia-Angriff auf die Familie der Mutter. Womöglich stand seine eigene Stellung im Vatikan auf dem Spiel. Und auszuschließen war nicht, daß die Borgia sich auch die Ländereien der Farnese aneignen wollten. Er mußte auf jeden Fall nach Rom reiten, um vor Ort die Lage zu erkunden.
Als er hörte, daß Silvia plötzlich abgereist sei, erschrak er und wurde unsicher, ob er sich nicht grundlegend in der Einschätzung ihrer Gefühle geirrt
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