Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
verzeihendes Lächeln und ein endgültiges Abschiednehmen.
Im ersten Morgenlicht verschwanden die nächtlichen Besucher, und Silvia fühlte sich seltsam erleichtert. Sie weckte die Schlafenden, und wortlos brach die Gruppe auf. Als die Sonne die ersten Strahlen über die Landschaft schickte, nahmen die Kinder die Tücher von den Vogelbauern, und die Vögel begannen um die Wette zu singen.
Trotzdem spürte Silvia, wie das Gefühl der Erleichterung einer zunehmenden Bedrückung wich. Auch das Ziehen in ihrem Unterleib verstärkte sich. Sie wollte jedoch nicht darauf achten. Vor ihr die mit gebeugtem Kopf vor sich hin trottenden Maultiere. Die Männer gähnten, die Mädchen unterhielten sich leise. Die Kinder schienen noch zu träumen. Rosella ritt nicht mehr neben ihr, sondern am Ende des Zuges.
Silvia fragte einen Bauern nach dem Weg nach Capodimonte. Er wies sie stumm in eine Richtung. Sie folgten seinen Angaben, durchquerten abends Montefiascone. Noch einmal erkundigte sich Silvia nach dem Weg, wurde von einer Gruppe Männer nach Norden geschickt. Als sie weiterritten, hörte sie die Männer lachen. Unsicher schaute sie sich um, aber die Männer wiesen mit heftigen Bewegungen in die Richtung, die sie schon eingeschlagen hatte.
Abends war Capodimonte noch immer nicht erreicht. Als sie am Rande eines Wäldchens lagerten und die Nacht sich herabsenkte, galt es, ein zweites Mal im Freien zu übernachten. Silvia befahl den Knechten, das Feuer hell auflodern zu lassen. Die Kinder schliefen übermüdet ein. Die Mädchen sangen leise. Rosella brütete unansprechbar vor sich hin.
Silvia schnürte sich die Kehle zu. Und hilflos mußte sie erleben, wie die Ängste sich ihrer bemächtigten. Es war eine Nacht voll bedrohlicher Geräusche. Jeden Augenblick konnten die Wehen einsetzen, jeden Augenblick konnten aber auch stinkende Männer aus dem Wald hervorstürzen. Diesmal gab es keinen Alessandro, der sie rettete, diesmal mußten sie alle sterben.
62. K APITEL
Im größten Tumult hatten die Mädchen Alessandro aus Castellesis Villa geleitet. Er ließ seine Diener zurück und ritt im Galopp zu seinem Palazzo, wo er sich Barett, Wams und Beinkleider anzog, seinen alten schwarzroten Seidenmantel überwarf und noch in der Nacht die Stadt verließ. Zum Glück schien der Mond, und es war hell genug, über die alten römischen Straßen nach Capodimonte zu reiten. Sein Rappe schien den Weg von allein zu finden, und er galoppierte, als spüre auch er die Gefahr, in der sich sein Reiter befand.
Alessandro stürmten die Gedanken durch den Kopf. Wieder flüchtete er aus der Stadt, um sich in Capodimonte oder, noch besser, auf der Isola Bisentina zu verstecken. Dabei hätte er sich um Silvia kümmern müssen, deren Entbindung kurz bevorstand. Aber er hatte Cesare beleidigt, hatte seine haßerfüllten Augen auf ihn gerichtet gesehen. Die Warnung des verkleideten della Rovere war unmißverständlich. Im Haus des Adriano Castellesi aus Corneto fand eine Verschwörung statt, ein Angriff auf die Borgia mit Rosellas Hilfe. Die versammelten Kurtisanen und jungen Straßenhuren waren Teil des Plans. Trotzdem war sich Alessandro im unklaren darüber, ob die Borgia nur provoziert oder ob sie im größten Tumult durch die Schlange zu Tode gebracht werden sollten. Oder ob man sie ablenken wollte, um sie um so leichter erdolchen oder vergiften zu können. Erdolchen sicher nicht, einen offenen Mord vor so vielen Zeugen wagte niemand. Aber vergiften? Mit der cantarella vielleicht, dem Gift, das die Borgia selber so gern verwendeten und das erst nach Tagen zu einem schleichenden Tod führte?
Und welche Rolle spielte Castellesi? War er überhaupt eingeweiht? Oder hatte er den Borgia nur ein besonders anspielungsreiches Spektakel vorführen wollen und hatte nicht begriffen, daß man seine Naivität ausnutzte? Aber wer war der Drahtzieher? Rosella gewiß nicht allein. Daß sie sich an Cesare rächen wollte, brauchte niemanden zu wundern; daß sie dank ihrer prophetischen Künste und magischen Praktiken über beste Beziehungen zu den Kardinalspalästen und zu den in ihrer Existenz bedrohten Adelsgeschlechtern verfügte, konnte ebenfalls vorausgesetzt werden. Aber eine entstellte Hexenhure aus der römischen Gosse konnte nie allein einen Anschlag auf den Stellvertreter Christi und seinen fürstlichen Sohn, den mächtigsten Mann Mittelitaliens, planen und durchführen.
Alessandro ließ den Rappen nun in Trab fallen, um ihn zu schonen. Wie schwarze
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