Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
schweren Leib und sprach dem Kind unter ihrem Herzen beruhigend zu. Sie spürte nichts, kein Ziehen, keine Schmerzen, auch keine Feuchtigkeit zwischen den Schenkeln. Nur ihr Herz schlug bis hoch an den Hals.
Während der Rast ließen sie die Pferde und Maultiere grasen und trinken; sie selbst legten sich in den Schatten der Pinien, die den Weg säumten. Je höher die Sonne stieg, desto mehr Menschen strömten nach Rom, Bauern mit ihren Schweinen, Gemüsehändler, Obstverkäuferinnen, aber natürlich auch Pilger und Händler. Zwischendurch immer wieder schwerbewaffnete Trupps, die das aufgenähte Wappen der Orsini auf ihrer Brust trugen und die sie neugierig und gleichzeitig mißtrauisch mit den Augen verfolgten.
Da alle Herbergen auf dem Weg von Pilgern und lärmenden Orsinihaufen besetzt waren, entschlossen sich Silvia und Rosella, die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, und zwar in einem Obsthain, der zu einem Gehöft gehörte. Die Nähe der Bauern, die ihnen das Übernachten erlaubt hatten, gewährte einen gewissen Schutz. Die Männer entzündeten ein Feuer, die Mädchen sangen gegen ihre Angst an, und die Kinder kuschelten sich an ihre Mutter.
Die Nachtgeräusche ließen Silvia nicht schlafen, das ferne Rufen der Käuzchen und das Anschlagen der Hunde. In der Ferne heulten andere Hunde – oder vielleicht auch Wölfe. Der Mond, nicht mehr ganz voll, stand über dem Horizont. Einer der Knechte hielt Wache und warf, wenn nötig, Äste ins Feuer, die anderen schnarchten. Die Mädchen hatten sich unter Deckenknäueln versteckt.
Rosella, die ebenfalls nicht schlief, fragte: »Wie geht es dem Kind?«
»Es ist ruhig«, flüsterte Silvia. »Hoffentlich wartet es noch, bis wir Capodimonte erreicht haben.«
Neben den schlafenden Kindern reihten sich, schön ordentlich zugedeckt, drei Vogelbauer.
»Weißt du, woran ich denken muß?« fragte Silvia leise.
»Ja, ich weiß es.«
»Es ist so lange her, und doch sehe ich alles vor mir. Ich sehe sogar noch, wie du nach unserem Hündchen getreten hast.«
Rosella schwieg.
»Erinnerst du dich noch daran?«
»Ich habe genug dafür gebüßt.« Rosella starrte in den Himmel.
Silvia setzte sich auf. »Wie meinst du das? Wofür hast du gebüßt? Daß du das Hündchen getreten hast?«
Rosella antwortete nicht.
Silvia fiel wieder ein, was Giovanni in seinem Zorn Rosella unterstellt hatte. Sie hatte immer versucht, seine Anschuldigung zu vergessen, um einen Verdacht erst gar nicht wachsen zu lassen. Aber Rosellas Äußerung klang nun wie ein indirektes Geständnis.
»Hast du damals den Überfall …?« fragte Silvia stockend. »Wolltest du wirklich meine Mutter …?«
Rosella starrte noch immer in den Himmel. Schließlich flüsterte sie: »Ich wollte deine Mutter loswerden. Aber die Männer hörten nicht auf mich, noch nicht einmal auf meinen Bruder. Sie waren schlimmer als Tiere.«
»Und mein Vater?«
»Er wußte von nichts.« Rosella bedeckte nun wieder ihr Gesicht mit dem Schleier und legte sich auf den Rücken. »Ich habe dafür gebüßt«, sagte sie mit kaum vernehmbarer Stimme. »Frag mich nicht weiter!«
Silvia schloß die Augen und betete. Et dimitte nobis debita nostra , sicut et nos dimittimus debitoribus nostris . Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Sie hoffte, die Gebetsformeln könnten den Aufruhr in ihrem Innern beruhigen. Rosella, ihre engste Vertraute, hatte die Mutter auf dem Gewissen. Ohne sie hätte es den Überfall nicht gegeben, ohne sie wäre ihr ganzes Leben anders verlaufen. Ein schwarzgähnender Abgrund tat sich auf, ein vernichtender Sog zog sie hinab. Libera nos a malo . Erlöse uns von dem Übel. Ja, sie wollte erlöst werden und überleben, und um zu überleben, mußte sie vergessen. Rosella war bestraft worden. Sie war für ihr Leben gezeichnet und als Hexe gebrandmarkt. Aber sie war auch ihre Helferin. Ohne Rosella war sie verloren. Gerade jetzt. Jeden Augenblick konnten die Wehen einsetzen, und sie waren noch immer nicht in Sicherheit. Domine , ad adjuvandum me festina . Herr, eile mir zu helfen. Ave Maria , gratia plena …
Silvia wurde während der Nachtstunden immer wieder von Traumbildern überflutet: Sie schritt über Blumenwiesen, auf denen ihr Schattenwesen begegneten, all die Menschen, die sie geliebt und die vor ihr gestorben waren, der Vater und der kleine Sandro, auch ihre Brüder und Ippolita. Schließlich tauchte sogar ihre Mutter auf, sie winkte ihr und lächelte. Es war ein
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