Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
freudig und schnaubte, knabberte dann an ihrer Hand. Der Vater dagegen umarmte sie nicht; er küßte sie auch nicht, erkundigte sich nicht, was geschehen war, sondern erteilte ihr nur ein paar knappe Befehle und sprach sonst kein Wort. Auf keine ihrer Fragen ging er ein. Er wirkte tieftraurig, verkrampft und schien eine schwere Last zu tragen. Silvia legte ihren Kopf an den Hals ihres geliebten Pferdes und sog gierig den ihr vertrauten Geruch ein. Diese Kameradin hatte sie noch nicht verloren! Endlich war der Alptraum des Klosterlebens vorbei – die Langeweile des Anfangs und das zuchtlose Durcheinander der Schlußtage.
Der Vater brachte sie umgehend auf das Landgut der Familie Ruffini in Frascati. Es ging so schnell, daß sie noch nicht einmal ihren Zeisig mitnehmen konnte. Auch in Frascati konnte Silvia dem Vater nicht erzählen, was sie erlebt, wie sie gelitten hatte. Er wollte nichts hören von Giulia und Clarissa, auch nichts von Ippolita, der Mutter Oberin. Von dem nächtlichen Treiben sprach Silvia von sich aus nicht.
Als er wieder nach Rom aufbrach, blieb er noch immer schweigsam. Er schaute Silvia lange an. Sie rätselte über die Botschaft in seinen Augen. Sie war das einzige ihm verbliebene Kind. Zwar nur ein Mädchen, aber sein Mädchen. Sie beide gehörten zusammen, nach dem Tod der Mutter mehr denn je! Aber sie erreichte ihn nicht.
Schließlich sagte ihr Vater doch noch: »Wenn es so weitergeht, werde ich nie einen Mann für dich finden. Dann bleibt nur ein Kloster in den Bergen – mit strengster Zucht.« Er wandte sich abrupt ab und bestieg sein Pferd. Ohne ihr einen letzten Abschiedsgruß zuzurufen, gab er seinem Pferd die Sporen.
»Und was ist mit Rosella?« rief ihm Silvia noch nach. Aber er hörte sie schon nicht mehr.
Sie sah ihm lange nach.
Tagelang, nur begleitet von drei bewaffneten Reitknechten, ritt Silvia über Hügel und Weinberge. Die Männer hatten strikten Befehl, sie nicht aus den Augen zu lassen. Auch sollte sie mit keinem Fremden sprechen. Abends war Silvia von der frischen Luft müde und schlief schnell ein. Manchmal mußte sie weinen. Hätte doch wenigstens ihr Vater ein Wort gesprochen! Sie ausgeschimpft und dann in den Arm genommen! Ich werde nie einen Mann für dich finden ! Wahrscheinlich hatte er längst schon ein Auge auf eine neue Frau geworfen und wollte seine Tochter loswerden. Dann bleibt nur noch das Kloster in den Bergen .
Nein, auf keinen Fall! Das Kloster bedeutete Langeweile und Ödnis, Versuchung und Verzicht – das war kein Leben, und Silvia wollte leben! Ja, sie wollte ausreiten, auf Feste gehen, schönen Schmuck tragen und Kinder in die Welt setzen. Sie wollte singen, dichten, lesen und mit klugen Menschen über die Schriften der Römer und Griechen diskutieren. Ihre Brüder waren tot, sie lebte! Aber ihr Vater steckte sie in ein Kloster, damit er seine Kammerfrau ungestört vögeln konnte. Er schob seine Tochter aufs Land ab, damit er sein schlechtes Gewissen loswurde. Früher hatte sie Rosella geliebt … Aber jetzt? Rosella trug das Kind ihres Vaters und spielte die Herrin im Hause. Eine Magd, die aus der Gosse kam!
Trotzdem könnte Rosella sie wenigstens besuchen!
Statt dessen suchte ihre Mutter sie heim, jede Nacht, und alles Beten nützte nichts. Die Mutter wandelte stumm an ihr vorbei, in schwarze Tücher gehüllt, mit einer Kette roter Perlen um den Hals. Am nächsten Morgen fühlte Silvia sich wie eine unerlösbare Sünderin, die unbedingt das Leben einer Heiligen führen, das Leiden einer Märtyrerin erdulden wollte.
Um sich von diesen Wünschen und Vorstellungen zu befreien, stürmte Silvia ins Freie, rannte zu ihrer Schimmelstute und warf ihr eigenhändig den Sattel auf den Rücken. Barbone, der graubärtige Pferdeknecht, kam herangeschlurft, lachte und half ihr. Die Schutztruppe zerrte dösig und brummig ihre Pferde aus dem Stall. Silvia wartete nicht auf sie, und die Männer mußten sich fluchend beeilen. Silvia ritt hinaus in eine Landschaft, die im jungfräulichen Licht noch verschlafen dahingebettet lag, mit ihren von Dunstschleiern belegten Grünflächen, mit aufragenden Zypressen, die wie Mahnmale in den Himmel ragten. Schirmpinien standen in Dreiergruppen beieinander, als müßten sie zu einem Schwatz die Köpfe zusammenstecken.
Mit fliegendem Mantel galoppierte Silvia unter ihnen durch. Sie versuchte zu vergessen, was während der letzten Monate geschehen war. Der Überfall, die Klosterzeit, das abweisende Verhalten ihres Vaters.
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