Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Für eine Weile gelang es ihr, und sie sah sich umfangen vom milden Morgenlicht.
Und dann ergriff Silvia ein seltsames Gefühl. Es war, als hätte jemand zu ihr gesprochen. Als hätte ein Geist sie angeweht. Sie hielt Bianca an und lauschte. Ein leiser Wind rauschte durch die Piniennadeln, ein Flirren gegen die Sonne. Sie spürte genau, daß jemand in der Nähe war, obwohl nur ihre drei Wächter hinter ihr lauthals verschnauften und ausspuckten. Sie entdeckte keinen Bauern und keinen Schäfer, keinen Eseltreiber und keine Schweinehirten. Und trotzdem spürte sie die Nähe eines Wesens.
Mit einem Aufschrei ließ sie Bianca los galoppieren. Sie setzten über Steinwälle und Baumstämme, jagten an kläffenden Hunden und Ziegenställen vorbei, an davonstiebenden Hühnern – Silvia fühlte sich stark und unverwundbar. Sie entfloh dem Geist, der sie angeweht hatte, sie entfloh seiner Nähe. Auf dem Rücken ihres Schimmels hätte sie davonfliegen können, über den Himmel ziehen, wie die Rosse des Helios – da stand plötzlich vor ihr, zwischen zwei mächtigen Pinienstämmen, im Gegenlicht, so daß sie ihn nicht erkennen konnte, ein Mann. Hoch zu Roß, wie ein griechischer Gott, wie Apollo oder Merkur oder gar Jupiter, unter einem roten, schwarz eingefaßten Mantel. Zuerst traute sie ihren Augen nicht, glaubte an eine Erscheinung, dann überfiel sie die Angst, wieder in eine Falle geraten zu sein. Doch dieser griechische Gott ähnelte überhaupt nicht den verkommenen Wegelagerern, die über sie hergefallen waren. Natürlich konnte sie auch ein Edelmann auf seine Burg entführen, um dort sein Geschlecht noch größer und stolzer zu machen. Alle Mädchen kannten Livius’ Erzählung vom Raub der Sabinerinnen …
Einen Wimpernschlag lang hoffte Silvia sogar, von diesem Mann im Gegenlicht entführt zu werden, heraus aus der Langeweile von Frascati, die sie nur durch ihre Ausritte mindern konnte. Sie sah nun einen Königssohn vor sich und mit ihm einen glanzvollen Palast, Geschmeide und Feste und eine ganze Armee von Dienern. Aber schon waren die Wachen neben ihr und zückten drohend ihre Schwerter. Der rotschwarze Mann hob beschwichtigend seine Arme – und nun endlich erkannte sie ihn. Es war ihr Alessandro. Er hatte dem Kerker entfliehen können oder war freigelassen worden. Vielleicht sogar auf Grund ihres Briefes. Und nun wollte er ihr danken. Er ließ sie nicht allein. Er suchte und fand sie, wo immer sie war. Und kein Hindernis konnte ihn aufhalten.
Alessandro sprang vom Pferd und lief auf sie zu. Silvia flog ihm, ohne zu zögern, in die Arme. Schnell entzog sie sich ihm wieder und verbeugte sich errötend, wie es sich für ein Mädchen von Stand geziemte. Alessandro lachte und verbeugte sich ebenfalls formvollendet.
Silvia erfuhr, daß er der Engelsburg entflohen sei, sich in Rom habe verstecken müssen, vor den Häschern des Papstes, auch vor seiner Mutter, die ihn um jeden Preis auf den Pfad der apostolischen Tugend habe zwingen wollen.
»Wo hast du dich versteckt?« unterbrach sie ihn.
Er warf einen Blick auf ihre Begleiter, die sie mißtrauisch beäugten und nicht recht wußten, was sie tun sollten. Er winkte ihnen herrisch zu, sich zurückzuziehen. Sie lehnten sich mit gezücktem Schwert drohend und maulend an die nächsten Baumstämme.
Alessandro senkte seine Stimme und sprach nun lateinisch.
»Es gibt noch gute Freunde in Rom.« Mit einem kurzen Augenschlag wies er warnend auf die Männer.
»Und deine Schwester Giulia? Ach, sie ist ja so schön! Wir lieben uns! Wo ist sie? Hast du sie gesehen?« Silvia sprach ebenfalls lateinisch, obwohl es ihr nicht so flüssig von der Zunge ging.
Ein leicht spöttisches Lächeln zog sich um seinen Mund.
»Giulia hat einen neuen Beichtvater, der sie von all ihren Sünden der letzten Wochen freigesprochen hat, ihr aber zuvor auf Wunsch unserer Mutter ganz heftig den Kopf waschen mußte – Kardinal Rodrigo Borgia.«
»Der Spanier?«
Sie wußte, von wem Alessandro sprach. Sie hatte noch gut in Erinnerung, wie er Giulia über den Kopf gestrichen hatte. Und natürlich wußte sie, daß er das Haupt der spanischen Kardinalspartei war, von seinen Widersachern nur abfällig der Katalane genannt. Er hatte einen schlechten Ruf. Aber Silvia war bekannt, daß das Volk von Rom auf den Straßen unablässig über ihre Herrn schwätzte und gern über die Kardinäle und Prälaten, sogar über den Heiligen Vater herzog. Lästermäuler gab es überall, auch in ihrer famiglia , und
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