Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
da die Mutter Oberin fehlte, tat jede, was ihr beliebte. Manche Novizinnen begannen plötzlich zu tanzen und zu singen. Clarissa klatschte und kreischte vor Vergnügen. Giulia umarmte Silvia. Beide verstanden sie nicht, was vor sich ging. Aber sie begriffen, daß sich die Klosterordnung aufzulösen begann.
Vor der Pforte strichen immer häufiger junge Männer vorbei. Die Mädchen hingen tagsüber an den Fenstern und riefen ihnen etwas zu, kicherten und lachten, winkten sogar.
Es tauchten Musikinstrumente auf, Tamburin und Zimbel, Flöten und Lauten, es wurde gespielt und gesungen. Immer häufiger wurde getanzt, gelegentlich stundenlang. Silvia spürte, wie sich der Geist der Unbotmäßigkeit ausbreitete und auch ihr das schlechte Gewissen nahm. Mit Bosheiten fielen manche Schwestern übereinanderher, und einige ließen sich sogar zu gotteslästerlichen Reden verleiten. Vermehrt tauchten nächtliche Besucher auf. Silvia schloß sich ein, meist mit ihren beiden Freundinnen. Manche Novizinnen flüchteten, andere versteckten sich oder schlossen sich ebenfalls in ihren Zellen ein.
An einem Abend brach eine Gruppe von Schwestern wie auf Befehl in einen sich steigernden Tanz aus, der schließlich darin endete, daß sie sich ihre Klostertracht vom Leibe rissen. Als einer der Beichtväter auftauchte, fielen sie über ihn her und kratzten sein glutäugiges Gesicht blutig. Er konnte gerade noch fliehen, bevor Schlimmeres geschah.
Ippolita Crispo, die Mutter Oberin, tauchte nicht wieder auf.
Das Kloster wurde zum Tollhaus.
Nur einmal kehrte für kurze Zeit Ruhe ein, weil der Titularbischof von Santa Cecilia, Kardinal Borgia, persönlich erschien, in Begleitung seiner Diakone, und neben dem Altar jede einzelne der Nonnen, Novizinnen und Zöglinge vor sich knien ließ. Sie mußten ihr Confiteor sprechen, er sprach von Fegefeuer und Höllenqualen, verteilte Strafen und donnerte schließlich sein Ego te absolvo auf sie herab. Seine Diakone schrieben die Namen der Geständigen und Erlösten auf.
Als Silvia an der Reihe war, Kardinal Borgia den Ring zu küssen, erschrak sie, weil sie meinte, ihm schon einmal begegnet zu sein. Aber sie wußte nicht wo, und so glaubte sie an eine Verwechslung. Der Kardinal, inzwischen ermüdet, lächelte und sprach mild ein paar ermahnende Worte.
Clarissa, die Silvia folgte, griff Borgias dicke Finger, überhäufte sie mit Küssen und gelobte unter Tränen, sie wolle den Schleier nehmen und nie wieder eine Sünde begehen. »Bitte sagt es nicht meinem Vater, bitte!« flehte sie.
»Ach, die Tochter unseres verehrten Kollegen«, flötete Borgia mit weicher Stimme und wies dann den Diakon barsch an: »Aufschreiben!« Es folgte die Absolution.
Ganz zum Schluß kniete Giulia vor ihm. Der Kardinal zuckte regelrecht zusammen, als er ihr ins Gesicht sah. Giulia flüsterte ihren Namen. »O Gott, das Kind ist schön«, entfuhr es ihm, und er strich ihr mit seinen Fingerspitzen über Stirn, Wangen und Haare.
Ein paar Tage schien die Klosterzucht zurückkehren zu wollen. Aber dann brach sie endgültig zusammen. Es dauerte nicht lange, da erschienen mehrere Diakone des Kardinals della Rovere, marschierten an der unbesetzten Pforte vorbei, suchten unter den aufkreischenden und sie umtanzenden Mädchen und Frauen Clarissa und nahmen sie mit, ohne ein Wort zu verlieren. Auch Giulia verschwand, noch bevor sie sich richtig von Silvia verabschieden konnte. »Ich werde nach Capodimonte zu meiner Mutter gebracht«, rief sie ihr zu. »Du mußt mich besuchen!«
»Grüße Alessandro, wenn du kannst!« antwortete Silvia, aber Giulia war schon in der Kutsche verschwunden, und Silvias Stimme erstarb. Sehnsüchtig schaute sie der Freundin nach. Nun war sie wieder allein.
An der Klosterpforte, die einladend offenstand, wurde Silvia von einem jungen Stutzer angesprochen, dessen Beinkleider hauteng der Form seiner Pobacken folgten. Sein Wams endete kurz unter dem Gürtel, und seine Schamkapsel mußte er mit irgend etwas ausgestopft haben, denn sie schien aufplatzen zu wollen. Silvia antwortete nicht und zog sich ins Innere des Klosters zurück. Als der Stutzer ihr nachsetzte und sie sogar festzuhalten versuchte, versetzte sie ihm einen Schlag und trat ihm mit aller Macht auf den Fuß. Er schrie auf und tanzte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem Bein.
Noch am selben Tag erschien Silvias Vater. Er hatte Bianca, ihr Pferd, im Schlepptau. Silvia sprang ihnen mit einem Aufschrei der Freude entgegen. Bianca wieherte
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