Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
ohne Vorwurf und Abwehr in der Stimme. »Es gibt eine alte Kupplerin, die mir einen Kräutersud zubereitet. Wenn ich ihn nehme und die Augen schließe … Verstehst du? Dann plötzlich sprechen sie zu mir, die Toten, ich sehe sie sogar, ich sehe sie wirklich.«
»Hast du schon meine Mutter gesehen?«
»Nur einmal. Sie hat sich nach dir erkundigt und war ganz freundlich.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte Silvia.
Rosella lachte auf, nahm Silvias Hand, zog sie an ihre Brust. »Deine Mutter – ich hätte sie damals vielleicht retten können, aber ich haßte sie, sie schlug mich, meist ohne Grund, und ich wollte mich rächen. Einmal erschien sie mir tatsächlich. Aber sie war nicht freundlich, sondern schaute mich finster an und strich mit geöffneten Fingern über ihr Gesicht, als wolle sie es zerkratzen.«
Rosella hielt noch immer Silvias Hand. »Zur Zeit scheint der Herr milde gestimmt zu sein. Er blickt auf mich Sünderin und weiß noch nicht, was er mit mir vorhat. Ich habe so viele Ablässe gekauft, wie ich mir erlauben konnte. Und natürlich besuche ich täglich die Messe. Solange Kardinal Borgia zu meinen regelmäßigen Kunden gehört, fühle ich mich sicher. Viele Katalanen folgen ihm. Hier …« Sie nestelte aus ihrem Ausschnitt einen goldenen Anhänger. »Ihr Wappentier, der Stier. Rodrigo schenkte ihn mir, als ich ihm weissagte, er würde über seine Gegner siegen. Sein Name bliebe für alle Zeiten unvergessen. Ich vermied ihm allerdings zu sagen, was ich ebenfalls erfuhr: Daß ihn am Ende seines Lebens der Teufel holen wird.«
Silvia zuckte zusammen und ließ Rosellas Hand los. »Was weißt du über mich und Alessandro?« fragte sie nach einer Weile.
»Du liebst ihn.«
»Wird er je zurückkehren?«
»Das nehme ich an.«
»Und dann?«
»Sie äußerten sich nur vage bei diesem Thema.«
Silvia richtete sich auf und zog Rosella zu sich heran. »Und was haben dir die Toten über Sandros Vater gesagt?«
Rosella erhob sich abrupt. »Die Toten haben nichts gesagt«, erwiderte sie beim Gehen, »weil ich nicht gefragt habe. Du kennst Sandros Vater. Er steht dir sehr nahe. Basta!«
Silvia ließ ihren Blick von einer Kerze zur anderen wandern und starrte dann wieder auf das weiße Blatt, auf dem auffordernd Lieber Alessandro stand. Die Worte versagten sich ihr. Ihr Retter und Held wurde zu einem sich entfernenden Traum, der in Florenz umschwärmt wurde von den Schönen der Toskana. Hatte er Silvia, die kleine Römerin, inzwischen vergessen?
Silvia pustete beide Kerzen aus und saß im abgedunkelten Raum. Vor ihr noch immer der helle Schemen des Papiers. Der Zeisig sprang unruhig in seinem Käfig hin und her und tschilpte.
Draußen auf der Straße hörte sie ein Pferd vorbeitraben und einen Mann einem anderen etwas zurufen. Unten in der Küche klapperten die Mägde mit den Kupferkesseln, und ein Huhn gackerte aufgeregt. Ein einsames Lachen, wie losgelöst von allem, drang hoch.
Silvia flüsterte das Ave Maria . Die Wände gaben das benedicta tu in mulieribus zurück. Obwohl sie wieder gesund war, blieb das Haus ein düsteres Gefängnis. Wenn doch wenigstens ihre Brüder noch lebten! An ihrem Leben hätte Silvia teilnehmen können, solange sie kein eigenes führen durfte. Noch nicht einmal Gedichte waren ihr während der letzten Wochen und Monate eingefallen. Es schmerzte, Reime und Bilder zu finden für eine Sehnsucht, an deren Erfüllung sie nicht mehr glaubte. Aber war es Dante und Petrarca nicht ebenso ergangen? Sie waren jedoch erwachsene Männer, die neben ihren wehmütigen und sehnsüchtigen Träumen ein bewegtes Leben führen durften.
Als Silvia draußen im Gang die dunkle Stimme ihres Vaters und ein Juchzen und Quieken hörte, sprang sie auf. Schnell zündete sie wieder die Kerzen im Zimmer an und versteckte den begonnenen Brief. Und tatsächlich, ihr Vater trat ein, mit Sandro auf dem Arm.
»Du liest?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Du träumst!«
Sie nickte.
Sandro streckte ihr seine Ärmchen entgegen, und sie nahm ihn dem Vater ab. Sie scherzte mit dem Kind, und es lachte und patschte ihr mit seinen Händen ins Gesicht, zog dann an ihren Haaren. Schließlich gab sie dem Kleinen mehrere Klötzchen und setzte ihn auf ihr Bett. Sandro begann friedlich zu spielen.
Ihr Vater hatte sich an die Wand gelehnt und schaute zu. »Ich bin froh, daß ich wieder einen Sohn habe. Irgendwann werde ich ihn legitimieren lassen.«
Silvia warf einen kurzen Blick auf den Vater, dessen Gesichtszüge,
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