Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
kulminiere, fühlte er sich von einem jungen Mann mit langen blonden Locken, weichen Lippen und großen, ein wenig vorstehenden Augen angezogen: Giovanni Pico, Conte della Mirandola. Pico war derjenige, der am teuersten gekleidet war, sogar teurer als Lorenzo selbst. Bestickte Seidenstoffe, Pelzverbrämungen an seinem Umhang, Spitze am Kragen, versteckte Goldfäden. In Florenz, so erfuhr Alessandro, laufe man nicht so aufgetakelt herum wie in Siena, das habe man nicht nötig. Vorbild sei Lorenzo, der sich eine wahrhaft fürstliche Kleidung leisten könne, aber bescheiden nur Schwarz und Gold trage. Wahrer Reichtum zeige sich im Geiste, in einer generösen Geste, in der Fähigkeit, Kunst zu schätzen und dafür auch Geld auszugeben.
Pico war jemand, der überall mitredete, der von einer Gruppe zur anderen sprang, der offensichtlich drei Gedanken gleichzeitig denken konnte und außerdem zahllose Sprachen beherrschte. Alessandro staunte, als Pico plötzlich in ein gutturales Idiom verfiel: Arabisch, so hieß es. Aber Pico beherrschte auch das Aramäische, denn die Bibel sei ja ursprünglich in Aramäisch geschrieben, Jesus von Nazareth habe diese Sprache gesprochen. Hebräisch las er selbstverständlich ebenfalls. Und er kannte die Bibel halb auswendig, außerdem Platon, Aristoteles, Cicero, die englischen Philosophen. Zwischendurch erzählte er gern einen zweideutigen Witz.
»Ihr seid Alessandro Farnese, das sehe ich sofort«, begrüßte er Alessandro, »Ihr seid der famose Flüchtling aus der Engelsburg.«
Alessandro wunderte sich darüber, daß der Florentiner ihn kannte.
»Ich habe Freunde in Rom, viele Freunde. Wißt Ihr nicht, daß ich vor nicht langer Zeit dort war, um meine neunhundert Thesen in einer öffentlichen Debatte zu verteidigen, die Erkenntnisse unserer Zeit, die Vereinigung von Platon und Bibel, die Beweise für die christliche Religion – aber keiner von Euren so weinseligen und kapaunhaften Prälaten wollte mit mir streiten und nach der Wahrheit suchen. Im Gegenteil. Sie sagten mir schließlich Ketzerei nach. Ich wollte es nicht glauben. Aber die vatikanischen Dunkelmänner meinten es ernst. Als ich nach England flüchten wollte, haben sie mich in Frankreich inhaftieren lassen. Ja, mein römischer Freund, sieben Jahre Kirchenbann, ich saß für die Wahrheit sogar im Gefängnis. Zum Glück hat mich mein lieber Lorenzo herausholen lassen.«
Für einen kurzen Moment unterbrach Pico seinen Redestrom, und ein düsterer Schatten fiel über sein Gesicht. Aber dann sprach er nur noch schneller weiter: »Als ich jung war, wollte ich für die Wahrheit sterben. Ich glaubte, der Glanz der Wahrheit müsse auch das dunkelste Herz erleuchten und die römischen Dogmatiker überzeugen. Aber Pustekuchen!«
Alessandro mußte über diesen ungewöhnlichen Ausdruck, den er nicht kannte, lachen. »Sagt man in meiner Heimat«, unterbrach sich Pico, dann schaute er Alessandro freundlich-prüfend an. »Wenn wir nachher Calcio spielen, solltest du meiner Gruppe angehören. Wir sind die besten! Mit dir werden wir noch besser sein. Laß uns in den nächsten Tagen ausreiten, nur wir beide: Auch du hast im Kerker gesessen. Nur wer einmal im Kerker schmachtete, immer in Angst vor der Folter – haben sie dich gefoltert in der Engelsburg?« Pico trat nahe an ihn heran und zog ihm die Arme hinter den Rücken. »Sie ziehen dich so in die Höhe, schon das läßt dich vor Schmerzen aufschreien, und dann lassen sie dich abrupt herunterfallen. Es reißt dir die Schultern entzwei. Da wirst du schnell zum Krüppel …«
»Seid Ihr denn gefoltert worden?«
Pico ließ seine Armen kreisen. »Zum Glück nicht.« Wieder der düstere Schatten über seinem Gesicht. »Aber es hat auch so gereicht.« Und ohne sich zu entschuldigen, wandte sich Pico ab und stand schon neben Lorenzo, der gerade ein Liebesgedicht vortrug. Pico wollte unbedingt den letzten Reim verbessert sehen und fand den Ausdruck leidendes Herz zu flach. Ein Bild müsse her, sonst könne er ja auch gleich ein Sonett über seine Gicht schreiben.
»Soll ich?« fragte Lorenzo.
»Die Gicht ist nicht poetisch, der Liebeskummer aber schon, und in meisten die Sehnsucht«, rief Pico, doch sowohl Ficino als auch Lorenzo widersprachen ihm.
»Kerkerhaft ist auch nicht poetisch, nur öde«, mischte sich Alessandro ins Gespräch.
»Öde?« rief Pico aufgeregt. »Öde, ja, öde auch, aber sie ist der Schrecken selbst, sie ist der Vorhof der Hölle, völlig unpoetisch, Dante zum
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