Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
Nach diesem so glimpflich abgelaufenen Abenteuer sah man Pico nicht mehr sehr häufig. Er war einer äußeren Verbannung durch Lorenzo entgangen, aber er schien sich nun zerknirscht in die innere Verbannung zurückzuziehen. Als Alessandro ihn nach längerer Pause wiedertraf, berichtete er, in der Zwischenzeit habe er bei einem alten Bekannten, bei Fra Girolamo Savonarola, die Beichte abgelegt, und das anschließende Gespräch habe sein Leben verändert. Als Alessandro Genaueres erfahren wollte, wich Pico aus und entschuldigte sich. In den folgenden Wochen hockte er über alten Manuskripten, studierte kabbalistische Texte und sprach, wenn er schwarzgekleidet auftauchte, über das Böse in der Welt. Es nehme überhand, und daher werde Gott ein Strafgericht senden. »Wir müssen wieder ein meditatives, zurückgezogenes Leben führen«, erklärte er Alessandro, als beide in der Abenddämmerung durch den Medici-Park spazierten.
In der Accademia spielte er nur noch eine Gastrolle. Als ihn Lorenzo einmal, nicht ganz ohne boshaftes Lächeln, aufforderte, eines seiner letzten Liebesgedichte vorzutragen, erklärte Pico, er habe seit geraumer Zeit keine Liebesgedichte geschrieben, er werde sich nie mehr dieser Tändelei hingeben, überhaupt habe er alle seine Gedichte verbrannt. »Der Himmlische Vater hat mich vor Tod und Verfolgung bewahrt, ich muß ihm danken und endlich das leichtfertige Leben aufgeben. Fra Girolamo geleitet mich zu Buße und Umkehr.«
Er stand auf, verbeugte sich leicht und verließ die Gruppe, die sich im Garten beim Brunnen niedergelassen hatte. Gemurmel und Getuschel folgten ihm.
Lorenzo seufzte bedauernd, las dann aus einem seiner letzten Gedichte:
»Drum schreckt mich auch das unstet wirre Handeln Und längst verstummter Töne Widerklingen Im Streit, dem alten, zwischen Leid und Lust.«
Aber niemand wollte so recht zuhören. Es gab sogar einige, die lachten. Lorenzo unterbrach sich selbst, schaute lange in die Runde der alten und jungen Männer, die alle von ihm ausgehalten wurden. Alessandro senkte voller Scham seinen Blick, und gleichzeitig fielen ihm die Zeilen ein, die in einem von Silvias Briefen gestanden hatten. Er flüsterte sie vor sich hin. Während das allgemeine Gespräch wieder aufgenommen wurde, neigte Lorenzo seinen Kopf ihm zu. »Ich möchte hören, was du gerade geflüstert hast!« bat er ihn.
»Es sind die Zeilen einer jungen Frau aus Rom.«
»Wie lauten sie?«
Auch Lorenzo hatte leise gesprochen, und da niemand zuhörte, zitierte Alessandro:
»Und weinend, lachend fühl ich innerlich: Mein kurzes Leben hab ich nicht vertan.
Ja, glorreich seh ich meine Stunde nahn!« Lorenzo lachte kurz auf. »Wer dies von sich behaupten kann, muß glücklich sein. Und hoffnungsvoll. Ich kann es nicht mehr sagen.« Ohne Alessandro die Möglichkeit einer Antwort zu lassen, fragte er: »Und du? Siehst du auch glorreich deine Stunde nahn?«
»Die Zukunft liegt in Gottes Hand«, antwortete Alessandro ausweichend.
Lorenzo deutete ein Nicken an und schaute ihm in die Augen, schaute dann durch ihn hindurch in die Ferne. Alessandro fiel auf, wie tief die Falten waren, die sich in Lorenzos Gesicht eingegraben hatten, wie spitz die Nase vorragte, wie unschön die Unterlippe sich vorschob, wie tief die dunkel umrandeten Augen in ihren Höhlen lagen. Und ihm wurde plötzlich klar, daß Lorenzo an die letzte Stunde dachte, während ihm die siegreiche Stunde vorschwebte.
Und wie zur Bestätigung seiner Vermutung flüsterte Lorenzo: » Ultima necat . Die letzte wird mich und auch dich töten. Wohl dem, der auf sie vorbereitet ist. Ich glaube, ich bin es nicht. Noch nicht.« Er stand auf, ließ seinen Blick über die fröhlich in heftige Diskussionen verstrickten Männer gleiten.
Alessandro wollte aufspringen, aber Lorenzo drückte ihn wieder auf seinen Hocker. »Du wirst länger leben als ich, länger auch als mein unvergessener Bruder. Dich beschützt ein Engel.« Lorenzos Mund war schmerzhaft verzogen, und in seinen Augen stand eine tiefe Schwermut. »Über ein Jahrzehnt liegt der Anschlag der Pazzi auf mich nun zurück, aber jedesmal, wenn ich in den Dom gehe, spüre ich noch die Dolche, die mich verletzten, meinen Bruder aber töteten. Die Pazzi haben dieses heimtückische Attentat ausgeführt, angestiftet hat es ein Papst, dessen Namen ich nicht in den Mund nehme.« Lorenzo seufzte und setzte sich noch einmal neben Alessandro. »Ich erwähne es selten, weil ich die Erinnerung nicht
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