Berger, Frederik - Die Geliebte des Papstes
einem Mädchen zum anderen. Sein Blick blieb an Silvia hängen, und plötzlich verengten sich seine Augen: »Was ist denn hier los? Warst du das, die gerade eine solch unchristliche Beschimpfung …«
»Es ist alles meine Schuld, Messer Ruffini«, rief Clarissa. »Ich bin ja so böse, o Gott!« Sie ließ sich fallen, und der Vater mußte sie auffangen. Aber sie entglitt seinen Armen und fiel vor Silvia auf die Knie, nahm ihre Hand, drückte sie, zuerst an ihr Gesicht, dann an ihre weiche Brust. »Silvia, verzeih mir, ich wollte dich nicht kränken, aber der Satan …«
Silvia trat einen Schritt zurück, Clarissa rutschte auf Knien hinter ihr her.
»Steh doch auf!« rief Silvia.
Giulia war herangesprungen und wollte Clarissa die Hand reichen, auch der Vater griff ihr unter die Arme, um sie hochzuziehen. Clarissa heulte und schluchzte, und als sie wieder auf den Beinen stand, ließ sie sich in die Arme des Vaters fallen. »Ich bin keine Hexe, das dürft ihr nicht glauben, wirklich nicht!«
»Ist ja gut!« Der Vater klopfte ihr begütigend auf den Rücken. »Niemand glaubt, daß du eine Hexe bist.« Er machte keine Anstalten, sich von ihr zu befreien, und Clarissa klammerte sich weiterhin an ihn.
»Ich bin ja so allein«, schluchzte sie, »ihr könnt das alle nicht verstehen, mein Vater sperrt mich weg, und ich habe Angst vor den Abgesandten des Satans. Jede Nacht …«
Der Vater strich ihr nun über den Kopf und zog sie langsam aus dem Zimmer. Silvia wollte ihm folgen, blieb dann aber in der Tür stehen. Clarissa klammerte sich noch immer an ihn, beide zogen sie langsam den Gang entlang und verschwanden um die Ecke. Silvia hörte Clarissa schluchzen, hörte die Stimme des Vaters, der wie zu einem Kleinkind sprach. Silvia drehte sich um und schaute Giulia ratlos ins Gesicht.
Giulia hob die Schulter und drehte sich dem Fenster zu. »Sind wir nicht alle allein?« fragte sie flüsternd.
Silvia stellte sich zu ihr und legte ihr den Arm auf die Schulter.
»Du wirst bald heiraten und hast dann eine Familie. Aber Clarissa muß mit ihrem jähzornigen Vater zusammenleben.«
Giulia nahm Silvias Hand und lehnte sich leicht an ihren Körper.
»Glaubst du, es macht Spaß, einen einäugigen Mann zu heiraten?«
»Ach Gott, das sind doch Äußerlichkeiten. Hauptsache, er achtet dich. Und wenn du viele Kinder auf die Welt bringst und gesund bleibst …«
»Ja, davon redet Adriana del Mila auch immer. Kinder, nur Kinder. Die erste Amme ist schon ausgesucht. Und fast täglich schaut sie nach mir, schreibt mir vor, was ich essen soll, will mir das Reiten verbieten, und bringt mir Pulver und Säftchen und gibt tausend Ratschläge. Und schließlich schwärmt sie von Kardinal Borgia, ihrem mächtigen Vetter, der uns trauen werde, und läßt ihre R’s nur so rollen.« Giulia hatte sich umgedreht, legte beide Arme auf Silvias Schulter und schaute ihr in die Augen.
»Weißt du, daß ich manchmal davon träume, eine Frau zu sein, der berühmte Männer zu Füßen liegen, Condottieri, Fürsten, Kardinäle – kein halbblinder Orso Orsini.«
Silvia lachte. »Dann mußt du Kurtisane werden.«
Giulia zuckte, dann stimmte sie in das Lachen ein. »Aber eine Farnese wird doch keine Kurtisane. Eine Farnese wird eine Orsini und thront im verschlafenen Bassanello im Kreis ihrer Kinder, unter Aufsicht der Schwiegermutter.«
Silvia wußte nicht recht, was sie darauf antworten sollte. »Du bist so schön, Giulia«, sagte sie schließlich. »Dein Traum wird in Erfüllung gehen, die ganze Welt wird dir zu Füßen liegen. Schon jetzt spricht man in Rom überall von der schönen Giulia .«
Giulia schüttelte heftig den Kopf. Sie streckte sich, fuhr sich durch ihre Locken, straffte ihre Brust. Aber ihre Miene blieb traurig. »Ich habe trotzdem Angst …«
»Wovor?«
Giulia schwieg, und Silvia seufzte. Sie sah wieder ihren Retter vor sich, Giulias Bruder. Das Leben könnte so schön sein, dachte sie. Sie heiratete Alessandro, Giulia den Orsini oder einen anderen jungen Mann aus Roms besten Familien, sie lebten in der Nachbarschaft, zogen die Kinder gemeinsam auf, feierten Feste, machten Ausflüge in die Weinberge und lasen gemeinsam Boccaccio. Rom wurde immer reicher und größer, immer mehr Künstler und Humanisten kamen in die Ewige Stadt. In Italien herrschte, sah man von kleinen Fehden und Auseinandersetzungen ab, schon lange Frieden. Und alle Herrscher waren bemüht, ihn zu erhalten. Dem Volk ging es gut, es gab keine Hungersnöte, keine
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