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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Jemand schrie. Ich hatte nach meinem eigenen Stuhl gegriffen, um ihn dem Angreifer über den Schädel zu ziehen, doch der war auf der anderen Schreibtischseite aufgehalten worden. Von der ausgestreckten Hand seines Onkels.
    »Moment«, sagte Cajetan Meyer. »Immer mit der Ruhe. Ich habe nie behauptet, dass Herr Koller eine feuchte Aussprache besitzt.«
    Neben mir ließ Fatty die erhobene Kaffeekanne langsam sinken. Seine Augen rollten, er begann heftig zu keuchen. So viel Geistesgegenwart und Kampfesmut hätte ich ihm nicht zugetraut. Meyers Neffe warf mir einen vernichtenden Blick zu und ballte die Fäuste.
    »Na, dann wollen wir die fröhliche Runde mal aufheben«, rief sein Chef gutgelaunt.
    »Autsch«, machte Fatty und stellte die Kaffeekanne ab. »Ganz schön heiß, das Ding.«
    »Sie finden den Weg«, sagte ich. »Aus dem Büro raus, durch Wohnzimmer und Eingangshalle. Und Ihre Karte essen Sie am besten auf, sonst komme ich noch auf den Gedanken, Sie anzurufen.« Ich warf sie Meyer vor die Füße.
    Sie gingen. Zwei beleibte Menschen verließen den Raum, der eine lächelnd, finster der andere. In der Tür drehte sich Meyer noch einmal um und sagte: »Die Rechnung für die Jackenreinigung bitte an mich persönlich, Herr Koller. Und wie vernünftig von Ihnen, dass Sie sich freiwillig Hausverbot auf dem Gelände der DACH auferlegt haben. Bis zum Sankt Nimmerleinstag. Adieu.«
    Die Tür schloss sich hinter ihnen.
    Wir sahen uns an. Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Ich stellte den umgefallenen Stuhl wieder auf, Fatty pustete auf seine rechte Handfläche. Die Scherben der Tasse und all das konnte man später aufräumen.
    »Da siehst du mal«, sagte ich schließlich, »wozu mein französischer Kaffee gut ist.«
    Er grinste schwach. »Ich hatte keine Ahnung, dass dir der Tod der Kleinen so naheging.«
    »Tut er auch nicht. Diese Typen hier, die gehen mir nahe. Ihre Visagen, Ihre Anzüge ... alles. Gegen die muss man was unternehmen.«
    Fatty schwieg und starrte auf seine gerötete Handfläche. Dann straffte er sich, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. »Und das wäre?«, fragte er.
    »Was?«
    »Na, was du unternehmen willst. Gehst du zu Bünting? Oder Schafstett?«
    »Schon wieder so ein Dicker. Ja, Schafstett werde ich einen Besuch abstatten. Aber nicht sofort. Zuerst versuche ich es bei einem Kunsthistoriker. Einem Bekannten von Herrn Lukaschenko.«
     
     

38
    Ich Versager!
    Ja, ich war ein Versager, auch in diesem Beruf, ich nannte mich Ermittler und ermittelte doch nichts, nicht einmal das, was sich in meiner nächsten Umgebung abspielte. Zum Beispiel hinter meinem Rücken. Und weil ich mir nicht selbst in den Hintern treten konnte, war der Wagen dran. Einen Tritt gegen die breiten Reifen, zack. Einen gegen die Felge. Den Tritt gegen das Vorderlicht schenkte ich mir, ich erregte ohnehin bereits Aufsehen.
    »Ist das Ihr Auto?«, fragte mich ein Mädchen mit Spange und Sommersprossen. In der Hand trug sie einen CD-Player, über den Ohren Kopfhörer.
    »Sehe ich so aus? Bin doch nicht blöd.«
    »Sie dürfen das nicht.«
    »Ich darf das. Bin Autotester.«
    Der Wagen stand auf einem Privatparkplatz in Wieblingen, vor einem grauen kastenförmigen Wohnblock mit Flachdach. Eine Art Plattenbau West, nur kleiner. Überall waren die Beulen von Satellitenschüsseln zu sehen, oben ragte ein Handymast in den Himmel. Eine schüttere Baumreihe schirmte das Gebäude gegen die Umgehungsstraße ab. Bis zum Bau dieser Umgehung war Wieblingen Transitstrecke gewesen: ein Straßendorf, wie es im Buche steht, und zwar in keinem schönen Buch. Kulisse für schuttbeladene Lastwägen, knatternde Motorräder, aufgemotzte Mantas und stotternde Traktoren auf dem Weg nach Edingen, Ilvesheim, Neckarhausen. In den zentralen Heidelberger Stadtteilen jammern sie bis heute über ihre Verkehrsprobleme, doch was sollten da die Wieblinger sagen? Die Häuser in einheitliches Emissionsgrau gekleidet, die Fenster straßenblind, und in der Uniklinik ging die Legende, erfahrene Lungenärzte könnten einen Wieblinger am Husten erkennen. Irgendwann kam die Umgehungsstraße, die dafür sorgte, dass sich Lärm und Abgase ins Gewerbegebiet am westlichen Ortsrand verzogen. Allerdings gibt es auch dort ein paar Wohnsilos aus den 70er-Jahren, und nun dürfen sich Sozialfälle, Aussiedler und Studenten mit dem Wieblinger Durchgangsverkehr herumschlagen. Der natürlich zugenommen hat, seit es die neue Straße gibt.
    Auch Heinz Schafstett gehörte

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