Bergfriedhof
der es nach Essen roch, ein Bad. Etwas mehr Platz als in meiner Wohnung. Sicher nicht teuer; aber auch diese 60, 70 Quadratmeter mussten erst einmal bezahlt werden, wenn man keine Arbeit hatte. Und Schafstett war ja offenbar arbeitslos; wie sonst hätte er mich tagelang verfolgen können?
Ich begann im Wohnzimmer herumzustöbern. An der Wand neben der Balkontür hing eine Handvoll Fotos. Sie zeigten Schafstett auf Reisen, vorm Zuckerhut, auf einem Schiff, mit einer Schwarzen am Strand und im Kreise von Kollegen. Dieses Bild schaute ich mir genauer an. Neun Mann in weißen Sweatshirts und mit Schutzhelm, die Arme vor der Brust verschränkt, die Zähne zu einem breiten Grinsen gebleckt. Schafstett stand links außen, er war der Dickste von allen. Im Hintergrund konnte man ein weitläufiges Werksgelände ausmachen. Die DACH? Vermutlich, denn auf einem weiteren Foto saß Schafstett in feucht-fröhlicher Runde, rauchte eine Zigarre und hatte den Arm kumpelhaft um die Schultern von Hanjo Bünting gelegt. Der Alte lächelte essigsauer. Wahrscheinlich hatte ihm der Dicke den Prosecco umgestoßen und erzählte nun seinen Lieblingswitz. Seltsam, dass sich Bünting diese Betriebsfeste überhaupt antat. Seltsam auch, dass er Schafstett, den Mann mit der Couchgarnitur, so nahe an sich heranließ. Und nicht nur das. In der Küche fand ich eine Postkarte Büntings aus Taiwan, mit belanglosem Text und herzlichen Grüßen an den lieben Heinz. Klang nach dickster Männerfreundschaft. Wer hätte das gedacht?
Anschließend durchwühlte ich eine dunkelbraune Kommode mit aufgesetztem Geschirrregal. In ihren Schubladen fand ich einige Stapel von Dokumenten, Rechnungen, Ausweisen und Papieren, die sich zu folgendem Bild summierten: Schafstett war Anfang 50, angestellt im Sicherheitsdienst der DACH seit 1983. Ein schöner Beruf, gar nicht weit weg von dem eines Detektivs. Kontakte zu naseweisen Reportern, Wirtschaftsprüfern, Juristen und Behörden inbegriffen.
Aber Schafstett arbeitete nicht mehr bei der DACH. Im Sommer 1997 war er entlassen worden. Nach 14 Jahren, einfach so. Warum, weshalb, unter welchem Vorwand, fand ich nicht heraus. Auffällig nur, dass ihm zur selben Zeit gekündigt wurde, als Büntings Karriere in Darmstadt so abrupt endete. Hatte er vielleicht schon damals die gröberen Arbeiten für den Alten erledigt? So dass er gleichzeitig mit ihm abserviert wurde? Jedenfalls mussten sie sich schon vor 1997 gut gekannt haben, das bewies der Schnappschuss vom Besäufnis.
Geregelter Arbeit schien der Dicke tatsächlich nicht nachzugehen. Brauchte er auch nicht. In einer der Schubladen fand ich seine Kontoauszüge, die neben diversen Ausgaben Schafstetts einzige Einkommensquelle nannten: Hanjo Bünting. Der alte Menschenschinder überwies ihm Monat für Monat 5000 Euro. Da, schon wieder die obligatorischen 5000: Büntings Generalschlüssel zu den Herzen der Menschheit. Warum zahlte er? Welche Gegenleistung erwartete er? Aus reiner Barmherzigkeit würde ein Hanjo Bünting niemals so viel Geld unters Volk werfen, das widersprach seinen marktwirtschaftlichen Prinzipien. Nein, es blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wusste der Dicke zu viel, und Bünting erkaufte sich so seine Loyalität, oder die 5000 waren eine Art Hausmeistergehalt, für das Schafstett Tag und Nacht zur Verfügung stehen musste. Wie auch immer, Schafstett war Büntings Mann fürs Grobe.
Wahrscheinlich konnte ihn der Alte sogar von der Steuer absetzen.
Alles, was ich sonst fand, zeichnete in Umrissen das Bild eines Menschen, mit dem ich nicht viel gemein haben wollte. Ein Kuraufenthalt in Bad Dingens wegen lädierter Bandscheibe, die Einladung zu einer Spielshow im Vormittagsprogramm eines Privatsenders, Briefe eines Rechtsanwalts und Prospekte von Autohändlern. Na ja. Ein beschissenes, armseliges Leben, das der Dicke führte. Trotz regelmäßiger fünf Riesen auf dem Konto. Fast konnte er einem leidtun.
Aber so schnell vergaß ich die beiden Faustschläge nicht.
Nach dem Wohnzimmer nahm ich mir die Abstellkammer vor: das übliche Haushaltsgerümpel, Putzzeug, Schuhe, alte Zeitschriften, ein Regal voller Videokassetten. Schließlich fand ich doch etwas, und zwar in einer winzigen Metalldose. Was wollte der Dicke bloß mit einer Halskette ...? Dann erkannte ich sie: Katerinas Kette mit der kleinen goldenen Sonne! Schafstett, der Mörder, hatte sie also ausgeplündert, bevor er sie wegschaffte. Es war widerlich. Ein Spießer, der unter die Schlächter
Weitere Kostenlose Bücher