Bergfriedhof
sich vorstellen, was Arndt so verunsichert hat, wenn es nicht der Leistungsdruck war?«
»Schwer zu sagen ...« Vergeblich bemühte sich mein Gegenüber, den Eindruck intensiven Grübelns zu erwecken. Dann kam ihm ein Gedanke. »Sagen Sie, Herr, äh ...«
»Koller.«
»...Herr Koller: Schreiben Sie eigentlich einen Bericht über meinen gestrigen Vortrag?«
»Na, hören Sie mal«, erwiderte ich pikiert.
»Wieso? Ich ...«
»Er ist schon fertig. Übermorgen erscheint er.«
Das trübe Gesicht hellte sich ein wenig auf. »Ach, das ist ... ja, sehr schön. – Was hatten Sie eben gefragt? Der junge Bünting ... Ein gescheiter junger Mann, manchmal etwas vorschnell mit seinen Einschätzungen ... Wobei ich nicht behaupten würde, ihn näher zu kennen. Allerdings hatte auch ich den Eindruck, dass ihn in letzter Zeit eine gewisse Nervosität gepackt hat. Aber seit wann und aus welchem Grund?« Er hob die Schultern. »Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Vielleicht Streitigkeiten mit seinen Verbindungsbrüdern?«
»Nun ... möglich ist das schon. Dieser Micevski hat die alle ganz schön unter seiner Fuchtel. Aber Genaueres weiß ich nicht.«
»Es war viel von Mutproben die Rede bei der Rheno-Nicaria . Auch gestern Abend.«
»Tatsächlich?« Arsani verzog das Gesicht und legte eine Hand auf seinen Magen. Jede Erwähnung des vergangenen Abends schien ihm Unwohlsein zu bereiten.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Arndt bei der Mensur versagt.«
»Möglich.« Arsani erhob sich ächzend. »Davon erzählen mir meine Studenten nichts.«
»Was ist mit dem Herrn aus Jugoslawien, den Sie gestern erwähnten? Könnte er ein Anlass gewesen sein?«
»Der? Warum?« Er öffnete den kleinen Wandschrank und wiederholte die Tabletten-Mineralwasser-Prozedur von vorhin. »Ich dachte, der hätte sich weniger für Arndt als für seinen Großvater interessiert.«
»Für Hanjo Bünting?«
»Wussten Sie das nicht?«
»Nein. Was wollte der Mann?«
»Mit Bünting sprechen, glaube ich.« Er kehrte zu seinem Sessel zurück. »Und fragen Sie mich bitte nicht, worüber.«
Genau das interessierte mich aber. Ein wenig mehr Entgegenkommen hätte ich von Professor Arsani schon erwartet, nach alledem, was er meiner armen Schwester angetan hatte ... Sollte ich ihn noch einmal auf gestern Abend ansprechen? Nicht nötig, er kam auch so ins Reden.
»Ich weiß ja nicht einmal seinen Namen«, sagte er und unterdrückte ein Rülpsen. Zu viel Mineralwasser. »Eine kuriose Geschichte ... Es war letzten Sommer, in Jugoslawien. Serbien, heißt es ja inzwischen. Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen ... Eine 10-tägige Exkursion unseres Institutes unter meiner Leitung. Wir besuchten Belgrad, Novi Sad, Niš und einige weitere Städte, um schwerpunktmäßig orthodoxe Wandmalereien und Fresken der frühen Neuzeit ... wie auch immer. Weil viele der Klöster und Kirchen, die wir besichtigten, abseits liegen, fuhren wir häufig über Land, unter anderem zu einer Kirche in der Nähe von ... na, wie hieß das gleich?« Er kratzte sich an der Stirn. »Bujanovac. Südlich von Bujanovac. Mitten in der Pampa, im Nirgendwo. Trostlose Gegend. Dank meiner guten Kontakte nach Belgrad stellte man uns überall, auch in abgelegenen Orten, einen Fremdenführer zur Verfügung, der uns etwas über die Gegend erzählen konnte. Auf Deutsch natürlich.«
»Natürlich«, sagte ich und fragte mich, aus welchen Zeiten die guten Verbindungen Arsanis in den Osten stammten. Aus kommunistischen? Postkommunistischen?
»In diesem Kaff im Süden«, fuhr der Professor fort, »war es ein deutschstämmiger Serbe, der uns herumführte. Er nannte uns seinen Namen, den ich mir nicht gemerkt habe. Irgendwas mit -ac oder -ic, klingt ja alles gleich. Von Kunstgeschichte verstand er nichts, aber sein Deutsch war sehr gut. Nach der Besichtigung saßen wir in einer Teestube zusammen, und da fing er an, uns über Heidelberg auszufragen. Behauptete, er sei von dort, habe seine Jugend in der Stadt verbracht oder was weiß ich. Wie diese Ausländer halt von Deutschland erzählen und nach Deutschland fragen, wenn sie einmal bei VW am Fließband standen.« Er rülpste wieder vorsichtig hinter vorgehaltener Hand. Ich bezweifelte, dass Arsani ein Fließband auch nur vom Sehen kannte; das hatten sie im 18. Jahrhundert ja noch nicht auf Leinwand gebannt.
»Und dieser Fremdenführer«, warf ich ein, die kurze Erzählpause nutzend, »war er denn Deutscher?«
»Angeblich, ja«,
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