Bergfriedhof
Geldgier noch alles erfunden hätte. Die Jahre im Ostblock müssen ihn völlig aus der Bahn geworfen haben.«
»Mag sein.« Ich zupfte an meiner Unterlippe. Ein Pfeifchen, so wie es Marten Micevski rauchte, das wäre jetzt genau das Richtige. »Und Sie? Sie haben der SS noch vor Kriegsende den Rücken gekehrt?«
»Ja, eine gute Woche nach dem Bombardement. Wir zogen uns aus der Stadt zurück, und auf dem Marsch habe ich die erste beste Gelegenheit genutzt.«
»Könnten sich Jakobs Andeutungen auf Ihre Desertion beziehen?«
»Wieso denn das, Koller?«, entgegnete Bünting erschöpft. »Ich weiß es doch auch nicht. Um an Geld zu kommen, hätte der Kerl vermutlich das Blaue vom Himmel heruntergelogen.«
Das Telefon klingelte. Bevor ich es verbieten konnte, griff Bünting zum Hörer. »Ja?«
Er hörte eine Weile stumm zu und sagte dann: »Mach ich, keine Sorge. Ruf mich in einer Stunde wieder an.« Pause. »Ja, du kriegst dein Geld. Bis gleich.«
Er legte auf und sah mich an. Nicht triumphierend, einfach nur müde. »Das war Heinz. Auf dem Weg zum Flughafen. Er will raus aus dem Land. Ihn kriegen Sie nicht mehr.«
Ich schwieg.
Das also wars. Ein Verdächtiger glatt wie Schmierseife, ein anderer über alle Berge. Und ein geständiger Mörder, der mich nicht interessierte. Dass der alte Bünting einmal stolz die SS-Rune getragen hatte – geschenkt. Dass da in grauer Vorzeit möglicherweise ein paar krumme Dinger gelaufen waren – geschenkt. Er würde das Geheimnis mit ins Grab nehmen, genau wie der tote Serbe. Ich sah zu Arndt hinüber. Zusammengefallen saß er in dem riesigen Sessel, blass und unansehnlich mit seinem trotzigen, verheulten Gesicht und den verschwitzten Haaren. Er wartete auf seinen Scharfrichter, und ich wollte den nicht spielen. Sollte die Familie Bünting selbst sehen, wie sie mit ihren Taten zurechtkam. Was für eine Malebolge ...
Ich ließ den Rest Oban in meinem Glas kreisen.
»Koller ...«, sagte Bünting mit ungewohnt schwacher Stimme in die Stille hinein. »Bitte, Koller, lassen Sie mich und meinen Enkel in Frieden. Was bringt es, wenn Sie ihn der Polizei übergeben? Sie haben uns schon genug angetan.«
Mir lief die Galle über. »Ich?«, schrie ich den Greis an. »Ich? Ihnen angetan? Wenn hier jemand jemandem was angetan hat, dann Ihr Enkel dem Jugoslawen. Aber noch mehr Sie Ihrem Enkel! Ihre gesamte Familie haben Sie zugrunde gerichtet: Ihren Sohn, Ihre Schwiegertochter, Ihren Enkel. Wahrscheinlich auch noch Ihre eigene Frau, es würde mich nicht wundern.« Mein Stimme kippte, ich musste husten.
Bünting würdigte mich keines Blickes. Er setzte sich, öffnete eine Schublade seines Schreibtischs, nahm einen Scheck heraus und kritzelte in großen, schwerfälligen Buchstaben seinen Namen darauf. Sonst nichts.
»Hier«, sagte er einfach und schob mir den Wisch hin. »Ein Blankoscheck. Setzen Sie eine Summe Ihrer Wahl ein. Was immer Sie wollen, mir ist es gleich ... Hören Sie, Koller«, hier sah er mir noch einmal in die Augen, »es ist kein Schweigegeld. Sie hatten Auslagen. Ich verstehe das. Nehmen Sie das Geld und überlegen Sie sich zu Hause in Ruhe, was Sie mit Ihrem Gewissen vereinbaren können. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.«
Da lag der Wisch zwischen uns. Ich schüttete den letzten Schluck Whisky in meine Kehle.
»Wissen Sie was, Dr. Hanjo Bünting?«, sagte ich. »Ich nehme das Geld. Ich werde mir einen Betrag überlegen. Eine Summe aus Katerina und Jakob und all den anderen Leichen in Ihrem Keller. Oder ein Produkt. Mal sehen. Arndt ist mir so etwas von schnuppe, da brauche ich nicht lange in mich zu gehen. Mit diesem Großvater ist der Junge gestraft genug. Aber dafür nehme ich noch zwei Dinge mit: das Foto als Andenken und den Whisky, um schlafen zu können.« Ich steckte Foto, Scheck und Pistole ein, griff die Flasche und ging hinaus.
»Lassen Sie das Foto hier!«, schallte es kraftlos hinter mir her.
Draußen vor der Villa starrte ich auf den Scheck und wunderte mich.
44
Meine resolute Freundin war heute nicht auf dem Friedhof zugange. Zu gießen brauchte sie nicht, es hatte ja ausgiebig geregnet. Vielleicht kloppte sie auch jeden Mittwoch Skat mit Gleichgesinnten. Jedenfalls war es nicht schwer, sie zu finden. Ich fragte ein paar graumelierte Damen nach der Schwester von Margarete Neubusch, Stammgast auf dem Bergfriedhof. Ja, natürlich kannten sie die, das ist doch die mit den drei Kindern, die alle studiert haben ... mit den vier Kindern,
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