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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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geschleppt, doch nun musste ich es der Ordnungsmacht opfern. Verdammt ärgerlich war das.
    Egal. Ich musste weiter. Rechts und links von mir stob alles auseinander.
    Aber ich kam nicht recht vorwärts. Das Hinterrad schien verzogen zu sein, der Reifen schleifte am Rahmen. Eine Folge des Sturzes wahrscheinlich. So ein Mist! Ich biss auf die Zähne, machte unter äußerster Kraftanstrengung ein wenig Boden gut, fuhr an einer Zeitungswand vorbei, wo ich in früheren, besseren Zeiten oft gestanden hatte. Morgen würde ich wieder dort stehen: in der Zeitung.
    Aber noch war ich frei und unerkannt. Ich fluchte, ich kämpfte, ich schwitzte – und brachte mit Mühe einen guten Steinwurf zwischen mich und die Unglücksstelle. Dann verfehlte mein linker Fuß die Pedale, und ich stürzte hin. Ich rappelte mich sofort wieder auf, aber nun blockierte das Hinterrad vollständig. Was tun?
    In diesem Moment kam mir zum ersten Mal ein Auto entgegen; kein Kleinwagen, sondern eine schwarze Geländemaschine mit Breitreifen und Stoßstangen, die dir auf Safari einen ausgewachsenen Elefanten weghauen. Sehr langsam fuhr der Jeep, zögerlich fast. Das kam mir gerade recht. Ich packte mein Rad, warf es in eine Hofeinfahrt, wartete, bis der Wagen an mir vorübergeschlichen war, und schlüpfte, hinter ihm Deckung suchend, in das nächstbeste Geschäft. Eine helle Klingel ertönte.
    Dann war endlich Ruhe.
    Wohltuende Ruhe.
    Als sich die Ladentür sanft schloss, hielt ich mich irgendwo fest und atmete erst einmal tief durch. Ließ die Lungenflügel arbeiten wie ein vorm Ertrinken Geretteter. Wenn die Rettung auch nicht von Dauer war: Wenigstens diese eine Tür befand sich zwischen mir und meinen Verfolgern. Hier war das Paradies. Fehlte nur noch der Engel mit dem Flammenschwert, der den beiden Uniformierten den Eintritt verweigerte. Oder eine Schlange oder ein Teufel, egal.
    In meinem Paradies, immerhin, musste man nicht nackt herumlaufen. Nicht ganz jedenfalls. Da gab es Blusen, T-Shirts, Unterwäsche, Dessous ... eine Damenboutique. Klassische Musik rieselte aus Deckenlautsprechern. Vor einem hohen Spiegel stand eine schlanke Verkäuferin neben einer weniger schlanken Kundin. Sie nickte mir geschäftig zu.
    »Meinen Sie?« fragte die Kundin. »Ich weiß nicht. Ich bin wirklich verunsichert. So kann ich meinem Mann nicht kommen.«
    Ich ging nach hinten und betrat eine Umkleidekabine. Ohne Kleidungsstück, aber es war ja auch eine Damenboutique. Ich zog den Vorhang vor und ließ mich auf einen gepolsterten Hocker fallen.
    Jetzt trennten mich eine Tür und ein Vorhang vom Rest der Welt.
    Was soll ich groß erzählen? In solchen Momenten, in denen die Spannung halbwegs von einem abfällt und Furcht an ihre Stelle tritt, ereignet sich nicht viel Berichtenswertes. Ich saß auf diesem blöden Hocker und starrte gegen den dunkelroten Vorhang. Er bewegte sich leicht im Luftzug. Die Stimme der Kundin drang gedämpft zu mir.
    Ich saß da und wartete. Ganz ruhig. Mein Hintern wärmte den Hocker, der Hocker war gepolstert. Meine Füße standen flach auf dem Boden, schön parallel nebeneinander, wie es sich für Füße gehört. Ganz ruhig. Die Knie rechtwinklig, die Unterarme auf den Oberschenkeln, die Hände gefaltet. Ich wartete. Den Kopf hielt ich ein wenig gesenkt, ich starrte auf eine Stelle des Vorhangs, die sich annähernd einen Meter über dem Erdboden befand. Nein, eher weniger, ich will nicht übertreiben. Vielleicht 85 Zentimeter. Es käme auf meine Entfernung vom Vorhang an, das heißt auf die Entfernung des Hockers, an dessen Platzierung ich nichts geändert hatte, und somit auf die meiner Augen vom Vorhang. Wäre diese Entfernung bekannt, könnte man mithilfe einer einfachen Winkelgleichung – natürlich flösse meine spezifische Kopfneigung mit in die Rechnung ein – die Höhe jener Vorhangstelle exakt ermitteln. Ich will nicht für kleinkariert gelten, aber mir liegt an der korrekten Beschreibung meiner Haltung, denn sie soll verdeutlichen, dass ich mich in diesen Minuten nicht mehr rührte als der Schlussstein der Alten Brücke und dass ich rein äußerlich vom Inventar der Boutique nicht zu unterscheiden war.
    Die Betonung liegt auf äußerlich.
    In meinem Kopf hingegen spielte ein halbes Dutzend Kinos lauter verschiedene Filme zur gleichen Zeit ab, und sie brachten mich beileibe nicht alle zum Lachen. Einige Horrorszenarien waren auch dabei. Ich sah vermummte Polizisten mit gezogener Dienstpistole durch die Plöck hasten, Haustüren

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