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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Gesichtsausdruck hatte sich geändert. In ihren Augen glänzte die neckische Romantik eines Teenagers. Eines gewesenen Teenagers, um exakt zu sein. Ihre Mundwinkel zuckten, als verkniffe sie sich ein Lächeln, und mit den Fingern ihrer linken Hand spielte sie auf einer imaginären Tastatur. Auch jetzt sah sie gut aus, meine Exfrau, aber es berührte mich nicht.
    Ich wartete.
    Nach einer Weile schaute sie mich an. Ich schaute sie an.
    Pause.
    »Ist was?«, fragte sie irritiert. Die linke Hand hielt im Spielen inne.
    »Dein Essen wird kalt«, sagte ich.
    »Ach so.« Sie griff nach ihrem Besteck. »Es schmeckt mal wieder ausgezeichnet, findest du nicht?«
    »Und deine Informationen werden auch gleich kalt, wenn du sie mir nicht brühwarm mitteilst. Ich bin zwar nur dein Ex, trotzdem wäre ich dir sehr verbunden, wenn du allmählich zur Sache kämst. Du weißt schon, der Casanova euerer Schule ... sein legendenreicher Abgang ... keine Stimmungsbilder, sondern Fakten, Fakten, Fakten. Wäre das möglich?«
    »Fakten?«, lachte sie. Dann beugte sie sich nach vorne und kraulte mich hinter den Ohren wie Tischfußball-Kurt seine Dackel. »Aber natürlich, mein Kleiner. Du bekommst deine Fakten. Schriftlich? Mit Durchschlag? Mach ich alles für dich.«
    Natürlich huschte im selben Moment Olli an unserem Tisch vorbei und grinste sein breitestes Grinsen, das er nur für frisch Verliebte auspackt.
    »Ich warte«, sagte ich.
    »Darf ich dabei weiteressen?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Also gut, zurück zu Dietrich. An der Schule erfuhren wir erst nach dem Unfall Einzelheiten aus seinem Leben. Gerüchteweise. Zu Hause hat er sich offenbar nie wohlgefühlt. Ein Autokrat als Vater, der für seinen Beruf lebt und im Sohn nur seinen potenziellen Nachfolger sieht. Die Mutter unscheinbar, völlig unterm Pantoffel, außerdem dauernd krank. Von daher also bloß Erwartungsdruck und Daumenschrauben.«
    »Sie war seine Stiefmutter«, warf ich ein. »Büntings zweite Frau.«
    »Tatsächlich? Kann sein. Kurz und gut, seine emotionale Bindung an sein Elternhaus war praktisch null. Nicht existent. In der Schule hatte er zumindest auf einem Gebiet Erfolg: bei den Weibern.«
    Ich nickte. Es klang gut, wenn Christine abfällig von ›Weibern‹ sprach.
    »Das Abitur baut er mit Müh und Not. Keine Freude für seinen Vater. Und dann schwängert er – Dietrich natürlich, nicht der Vater – eine seiner Miezen. Noch in der Schule. Ich glaube, sie war 16.«
    »Großer Skandal, was?«
    Sie nahm einen Schluck Wein und zuckte die Achseln. »Der Haussegen bei Büntings, falls es einen solchen je gab, hing mit Sicherheit schief. Das Mädchen ließ abtreiben, angeblich soll Geld geflossen sein, die Geschichte wurde so gut wie möglich unter den Teppich gekehrt.«
    »Na, das passt ja zu dem Alten.«
    »Findest du?«
    »Bünting kauft sich alles, auch die Verschwiegenheit seiner Mitmenschen. Für den stand außer Zweifel, dass ich sein Schweigegeld annehmen würde. Warum sollte ich mich nicht ebenso verhalten wie alle anderen? Du kannst jeden kaufen, das ist für Bünting das Gesetz, nach dem die Erdachse rotiert.«
    »Ein echter Kaufmann.«
    »Und Dietrich? Wie ging es weiter?
    »Nach der Schule studierte er, aber frag mich nicht, was. Es hieß, er habe mehrmals das Fach gewechselt und schlage sich mit dem Geld seines Alten durch. Dann bekam er wieder ein Kind, wieder von einem ziemlich jungen Mädchen, und diesmal behielten sie es.«
    »Sein Sohn«, vermutete ich.
    »Genau. Er heiratete die Frau nachträglich, wahrscheinlich unter Druck seines Vaters. Oder beider Väter.«
    »Kanntest du die Frau?«
    »Nein. Er war zumindest zeitweise nicht mehr hier, sondern in ...« Sie überlegte. »Berlin? Hamburg? Entweder wusste das keiner so genau, oder ich habe es vergessen.«
    »Macht nichts. Und sein Unfall?«
    »Dietrich hatte ein Faible für schnelle Autos, schon immer. Und für Motorräder. Na, du kannst dir ja denken, was jetzt kommt.«
    »Mit 220 gegen einen Brückenpfeiler. Über dem Wrack hing der Duft eines teuren Eau de Cologne. Spontane Trauerbekundungen sämtlicher weiblicher Teenager der Region.«
    »Na, na«, machte sie missbilligend. »De mortuis nihil nisi bene. Etwas anders war es schon. Er kam mit dem Motorrad von einer Alpenstraße ab. Am San Bernardino oder so, keine Ahnung. Zwei Dinge waren dabei bemerkenswert. Erstens: Er stürzte mitsamt seiner Maschine mehrere 100 Meter tief.«
    »Puuuh ... Seine sterblichen Überreste passten in eine

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