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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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ihm die Zukunft lesen. Wenn ihn sein Großvater so gesehen hätte!
    Über mangelnde Aufmerksamkeit brauchte ich mich allerdings nicht zu beklagen. Arndts Freunde kümmerten sich liebevoll um mich. Alles wollten sie wissen: Ob ich zufällig auf dem Marktplatz gewesen sei? Ob ich einer Verbindung angehörte? Ob ich wenigstens studierte? Es schmeichelte mir, dass sie mich trotz meiner lichten Haare für so jung hielten; das lag wohl am regelmäßigen Radfahren. Ich behauptete, Psychologie studiert zu haben, allerdings nicht in Heidelberg, sondern in ... na, wie heißt der Ort noch ... in Marburg, richtig; keine Stelle gefunden zu haben – o ja, die Berufsaussichten, allgemeines Geseufze – und schließlich wieder in meiner Heimatstadt gelandet zu sein. Volontariat bei den Neckar-Nachrichten , Lokalreporter. Einhelliges Nicken. So allmählich glaubte ich selbst an meine Anstellung als Journalist. Nein, zum Mai-Ansingen hätte ich rein zufällig gefunden. Ein Kollege aus der Lokalredaktion sei vor Ort gewesen und spätestens übermorgen werde die Öffentlichkeit erfahren, was sich auf dem Marktplatz abgespielt habe. Die Wahrheit über die linke Kamarilla.
    »Denen muss mal das Handwerk gelegt werden«, sagte einer mit Überbiss. »Die gehören doch eingesperrt.«
    »Aber hallo«, meinte ein anderer. »Gefoltert gehören die. Mindestens gefoltert.«
    Auf diesem Niveau plätscherte das Gespräch dahin. Ab und zu sprang einer an den Nebentischen auf, schrie irgendwelche Parolen, entweder einen Kampfruf gegen das rote Gesocks oder etwas Pseudolateinisches, das ich nicht kapierte – und dann hob allgemeines Trinken an. Der Stammeshäuptling der Rheno-Nicarier saß nicht bei uns, sondern machte Konversation mit anderen wichtigen Oberburschen. Frank sorgte dafür, dass wir stets volle Humpen hatten. Besonders helle schien er nicht zu sein, aber er hatte mich in sein großes Herz geschlossen.
    Ich schaute auf meine Uhr. Um halb neun erwartete mich Christine beim Griechen. Die Hoffnung, mit Büntings Enkel plaudern zu können, gab ich auf. Dumpf brütete Arndt vor sich hin, eingeschlossen in seine schlechte Laune wie in eine Kapsel.
    »Ich verziehe mich dann mal«, sagte ich und stand auf. »Vielleicht sieht man sich demnächst.«
    »Ja ... wie wäre es morgen?«, strahlte Frank, erhob sich ebenfalls und schüttelte mir die Hand.
    »Morgen? Singt ihr wieder?«
    Er lachte schallend. Morgen, erklärte er, veranstalteten sie einen offenen Abend auf ihrer Hütte; ich sei herzlich eingeladen. »Erst kommt einer und hält einen Vortrag, anschließend feiern wir. Also erst ein bisschen zuhören, dann ein bisschen saufen, klar?« Er gab mir einen freundschaftlichen Klaps.
    »Was für ein Vortrag? Was Politisches?«
    »Nee ... ein Kunsthistoriker. Ziemlich bekannter Kerl. Aber liest sehr witzig. Macht Spaß, dem zuzuhören.«
    »Und da sind dann alle dabei?«, fragte ich mit Seitenblick auf den jungen Bünting.
    »Klar. Wenn es hinterher was zu bechern gibt, immer. Frauen sind auch da. Und ein paar Alte Herren.«
    Na denn. Vielleicht zeigte sich Arndt morgen gesprächiger. Ich klopfte dem jungen Bünting aufmunternd auf die Schulter und verabschiedete mich. Alle wollten sie mir die Hand schütteln, einer nach dem anderen richtete seine glasigen Augen auf mich und versuchte, etwas ganz besonders Originelles loszuwerden. Da hatte ich mir aber schnell neue Freunde gemacht.
    Als ich endlich loskam, rollten die Markomannen gerade lärmend ein zweites Fass herbei. Der bewusstlose Narbenmensch in seiner Ecke würde heute noch Gesellschaft bekommen. Ich kämpfte mich an erhitzt gestikulierenden Burschenschaftern vorbei und traf am Ausgang auf Marten, den Langen mit der Adlernase.
    »Sie wollen schon gehen?«, fragte er spöttisch. Es gab keinen Grund für Spott. Aber das war so seine Art. »Darf ich vorstellen?« Er nannte mir die Namen seiner beiden Gesprächspartner, eines roten Markomannen und eines anderen in Schwarz mit Hasenzähnchen. Der Rote blickte finster, dem Schwarzen gelang das nicht.
    »Max Koller«, sagte ich. »Journalist.«
    »Ein Freund unserer Sangeskunst, der sich mutig ins Schlachtgetümmel geworfen hat«, schmunzelte Marten, und ich sah mich außerstande zu beurteilen, worauf sich seine sarkastische Ausdrucksweise bezog. Auf den Gesang seiner Truppe vielleicht?
    Der Markomannenhäuptling zog die Brauen zusammen und musterte mich. »Hattet ihr heute Mensur?«, fragte er.
    Adlernase sah ihn einen Moment lang verblüfft an,

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