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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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dann brach er in sein meckerndes Lachen aus. »Da sagst du etwas! Man könnte wirklich meinen ... Aber es ist eine echte Kampfeswunde.«
    Ich betastete meine rechte Gesichtshälfte. Diese Idioten! Wer kam bei einer kleinen Wunde an der Wange schon auf die Idee, sie für einen Schmiss zu halten? Akademiker, ich sage es ja ...! Und kaum, dass ich weg war, würde Marten ihnen von dem Ei erzählen, das durch die Luft gesegelt kam, und sie würden sich zu dritt einen Ast lachen, diese uniformierten Lackaffen.
    »Hätten Sie Interesse, uns morgen zu beehren?«, fragte der Lange, wieder ganz höflicher Gastgeber. »Wir haben nämlich ...«
    Ich sagte ihm, dass ich schon Bescheid wüsste. Der kunsthistorische Vortrag. Morgen um acht. Gegenseitige Dankesbekundungen, Kratzfüße. Ich machte, dass ich davonkam.
    Draußen musste ich erst einmal kräftig aufstoßen. Was würde Christine zu meiner Bierfahne sagen?
     
     
     

25
    »Den Namen Bünting kenne ich übrigens«, warf Christine unvermittelt ein.
    Ich schaute sie überrascht an. Gerade noch hatte sie über die Parkplatznot in Heidelberg geklagt, und nun dieser Schwenk. Dazu ist nur meine Exfrau fähig. Ich unterbrach meine Bemühungen, die Lammhaxe kunstgerecht zu zerteilen.
    »Und? Woher?«
    »Er kam mir gleich bekannt vor«, sagte sie. »Zumindest der Nachname. Ich kannte einen Dietrich Bünting, ein paar Jahre älter als wir. Vermutlich der Sohn von deinem Hanjo.«
    Na, wer sagts denn! Das ist der Standortvorteil, den du als Privatflic in der Provinz hast: Brauchst du Informationen, frag deine Bekannten, das ersetzt jede Recherche. Und dann darf auch das Stadtarchiv ruhig sechs Tage die Woche geschlossen sein.
    »Ich bin ganz Ohr, Christine.«
    »Er war bei mir auf dem Kurfürst-Friedrich-Gymnasium. Fünf, sechs Klassen über uns. Vielleicht hat er auch ...« Sie brach ab und verfiel in Schweigen: schaute an mir vorbei ins Leere, ihr Atem ging ruhig, sie war ganz entspannt, ganz Gedanke. Ich blieb mucksmäuschenstill und beobachtete sie, ohne mich zu rühren.
    Warum können solche Momente nicht ewig andauern? Sie war wunderschön, meine Exfrau: ernst, nachdenklich, abwesend, ein Gegenstand, der langsam in einem tiefen Brunnen versinkt ... Nein, kein Gegenstand, ein Schemen voll hinreißender Andeutungen, mit dunklen, großen Pupillen, die nichts fixierten. Eine Frau in Umrissen. In diesem Augenblick hätte ich sie auf der Stelle wieder heiraten können.
    »Ich glaube, er hat 1985 Abitur gemacht«, sagte sie und kehrte ins Leben zurück. Schade. Sie sah das Bedauern in meinem Blick, ohne darauf zu reagieren.
    »Persönlich kannte ich ihn nicht«, fuhr sie fort, »aber er war Gesprächsthema an der gesamten Schule. Playboy Dietrich Bünting. So ein Schönling, weißt du?« Sie lachte verächtlich. Wenn Christine etwas für Schönlinge übrig hätte, wären wir nie vor den Altar getreten.
    »Und die komplette Mittelstufe, sofern weiblich, wäre für diesen Adonis durchs Feuer gegangen.«
    »Ach, was. Angeschwärmt haben ihn einige von uns. Aus der Ferne angehimmelt. Ich nicht. Der Kerl war ja ein gutes Stück älter als wir. Lief mit erwachsenen Tussis rum, ging in Discos und auf Rockkonzerte.«
    Rockkonzerte? Na, das wird aber seinem Herrn Papa gar nicht gefallen haben.
    »Und du glaubst«, hakte ich nach, »dass Hanjo Bünting Dietrichs Vater ist?«
    »Er hatte einen Vater, der in der Industrie arbeitete und dick Kohle machte. Außerdem gibt es in Heidelberg nicht so entsetzlich viele Leute, die wie eine Teemarke heißen.«
    »Und hatte Dietrich ein Kind? Einen Sohn? Er müsste allerdings ...« – ich rechnete kurz nach – » ...ja, er müsste ein ziemlich junger Vater gewesen sein.«
    Sie nickte. »Hatte er. Das gehörte zu seiner tragischen Geschichte.«
    »Tragisch? Was meinst du? Wegen des Vaters?«
    »Nein, nein.« Sie machte eine Pause und widmete sich wieder ihrer Moussaka.
    Ich ließ sie eine Weile herumstochern. Was für eine tragische Geschichte meinte sie?
    »Dietrich ist tot. Verunglückt. 1990, in meinem Abi-Jahr. Hinterließ Frau und einen Sohn.«
    »Weißt du Genaueres?«
    »Selbstverständlich. Das war schließlich das Thema am Gymnasium. Ich glaube, ohne sein melodramatisches Ableben hätte Dietrich nie diesen Ruf gehabt. So eine Art posthume Legendenbildung: der schöne, draufgängerische Womanizer und sein bitteres Ende ...« Sie griff nach ihrem Weinglas und schwenkte es versonnen hin und her. Wieder war sie voller Gedanken, doch ihr

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