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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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drauf.«
    Wir schritten an der Gruppe vorbei. Frank plapperte munter vor sich hin. Die Schlacht hatte ihm Spaß gemacht, ein Abend so recht nach seinem Geschmack ... Verstohlen blickte ich über meine Schulter. Ich sah, wie der Lange eine Brieftasche einsteckte. Sein Schmunzeln war wie weggepustet.
    Mir gefiel dieser Typ nicht.
    Auf dem Weg Richtung Karlstor versuchte ich, Kontakt mit Arndt aufzunehmen, doch er blieb stumm und starrte finster vor sich hin. Das Kopfsteinpflaster der Hauptstraße schien interessanter als ein Gespräch mit seinem Lebensretter.
    »Arndt hat das Mai-Einsingen zum ersten Mal mitgemacht«, flüsterte Frank. »Aber sprich ihn bloß nicht drauf an, der ist verdammt empfindlich.«
    Ich nickte.
    Der Hüne stellte mir auch die anderen vor: Der rundum Bekleckerte hieß Konstantin, der Rest Gustav, Henning, Klaus-Peter oder so ähnlich. Hab ich vergessen. Ihr Verein nannte sich Burschenschaft Rheno-Nicaria – ich nickte wissend, als hätte ich diesen Namen schon x-mal gehört und sei ein Fan von ihnen –, ihr Domizil lag auf der anderen Seite des Neckars. Ehrensache, dass sie sich trotz der Risiken auf dem Marktplatz eingefunden und mitgesungen hatten. Nur Marten, ihr Boss, nicht; der hatte die Aktion aus der Distanz überwacht, außerdem konnte er angeblich nicht singen. Typisch.
    Das Haus, das wir ansteuerten, gehörte der Markomannia , einer befreundeten Verbindung. Es lag stilecht am Ende der Hauptstraße, eine klobige Stadtvilla mit großem Hanggarten und einem vermutlich atemberaubenden Ausblick vom obersten Stock. Dahin ließ man uns aber nicht. Die Markomannen, rot befrackte Jungs mit goldenen Tressen, hatten unten, in einer Art Empfangshalle, ein Fass Bier aufgestellt. An Holztischen konnten sie und ihre Gäste die traurigen Gedanken an ihre Niederlage in Alkohol ersäufen. Denn eine Niederlage war es gewesen, daran gab es keinen Zweifel. Eine Handvoll Chaoten, wenn auch mit massiver Unterstützung aus dem Rückraum, hatte es geschafft, vier Dutzend gestandene Korporierte vor den Augen der Polizei aufzumischen. Ein wenig Maskerade, allgemeine Verwirrung, und schon lagen die Burschen mit gespaltener Lippe auf dem Pflaster oder im Brunnen. Entsprechend gereizt war die Stimmung. Überall hitzige Diskussionen, ich hörte Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen.
    Apropos Brunnen: Der Frankenstein, den ich zum Baden geschickt hatte, war auch anwesend. Dass er mich wiedererkannte, stand nicht zu befürchten. Besinnungslos lag er in einer Ecke, Bier über dem Hemd und mit offenem Hosenlatz. Er roch immer noch nach Aftershave.
    Übrigens bestand die Versammlung nicht nur aus Männern. Es waren einige Frauen anwesend, und sie hatten allerhand zu tun: ihren Streitern das Blut von der Nase zu tupfen, die erblühenden Veilchen zu kühlen, den Heldentaten zu lauschen und Bier zu holen. Es gab auch einige Typen in Zivil; Freunde und Ehemalige oder Burschen, deren Uniform noch vom letzten Mai-Ansingen ramponiert war. Ich fiel also nicht weiter auf.
    Warum kam ich mir dennoch seltsam vor? Weil ich der einzige Nichtakademiker im Hause war, ein Studentenhasser unter lauter Studenten? Nein, das war es nicht. Es war die verschrobene Atmosphäre dieses Ortes, die Ansammlung gutsituierter Milchbubis, die versuchten, älter zu wirken, als sie waren, mit ihren von der Prügelei oder einer Mensur gespaltenen Wangen ... vor sich einen Humpen, neben sich eine kichernde Blondine und vis-à-vis einen Kampfgenossen, mit dem sie ums männliche Ego fingerhakelten. Und all das in einer muffig-altdeutschen Festhalle mit Kronleuchter und Hirschgeweihen: eine Mischung aus Neuschwanstein und Fremdenlegion.
    »Wie damals bei Langemarck!«, schrie einer und schwenkte seinen Bierkrug. Der ganze Tisch grölte vor Lachen und tat es ihm nach.
    »Ich sorge dann mal für das Wesentliche«, sagte Frank und schlurfte Richtung Bierfass. Wir anderen ließen uns an einem der Tische nieder. Ich achtete darauf, einen Platz neben Arndt zu bekommen. In alter Kämpfermanier schlug ich ihm auf den Rücken und eröffnete mit einem lauten »Na, das war eine Schlacht, was?« das Gespräch.
    Keine Reaktion.
    Schade, es war so eine originelle Einleitung. Konnte ich etwas für die Feigheit seiner Kumpels?
    Das Bier kam. Wir prosteten uns zu, nur Arndt schwieg hartnäckig. Auf seiner Stirn bildete sich eine Blutkruste. Die Schultern zusammengezogen, die verschränkten Unterarme auf dem Tisch, starrte er in seinen Bierhumpen, als könne er in

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