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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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und ihm die Gestalt einer Abschussrampe gegeben. Um die Asche der Gefallenen von dort oben direkt in den Neckar zu blasen, behauptete Marc Covet.
    Wie auch immer: Weshalb hatte mich Bünting spätabends zum Bergfriedhof bestellt? Die naheliegendste Erklärung war: um mich dort mit einem Dritten zusammenzubringen. Mit einem, der sich verstecken musste oder das Tageslicht scheute. Weil er – zum Beispiel – ein Erpresser war, der gemeinsam mit dem Chemiker ein krummes Ding gedreht hatte. Und nun von Bünting Schweigegeld wollte. Kaum sieht Bünting den Erpresser tot am Boden liegen, verzichtet er auf meine Dienste und ist von nun an darauf bedacht, den Mantel des Stillschweigens über die Angelegenheit zu decken. Bloß: warum ausgerechnet ein Friedhof als Treffpunkt? Warum diese melodramatische Inszenierung? Das war der Schwachpunkt meiner Theorie.
    Außerdem warf sie neue Fragen auf. Hatte Bünting die Leiche beseitigt oder beseitigen lassen? Und vor allem: warum? Wenn er tatsächlich so unschuldig war, wie er vorgab, hätte er sich ihre Entdeckung am nächsten Morgen durchaus leisten können. Tote reden nicht. Es sei denn, er musste befürchten, als Täter in Verdacht zu kommen. Das wiederum setzte voraus, dass sich am Körper der Leiche ein Hinweis auf Bünting fand. Vielleicht in der Brieftasche, vielleicht gab es Briefe oder eine Telefonnummer, eine Visitenkarte ... Zu dumm, dass ich keine Gelegenheit gehabt hatte, den Toten zu durchsuchen. Es war vermutlich ein Fehler gewesen, in Büntings Wagen einzusteigen. Andererseits wäre mir dann der Silberrücken durch die Lappen gegangen.
    Zurück zu dem Mann auf dem Grab: Was, wenn ein anderer ihn weggeschafft hatte? Und ein anderer ihn umgebracht? Und wenn diese beiden anderen auch noch verschiedene Personen waren? Drei Menschen, einer verdächtiger als der andere, kurz hintereinander auf einem nächtlichen Friedhof ...? Nein, das war absurd. Der Bergfriedhof war schließlich keine Fußgängerzone. So kam ich nicht weiter.
    Auch Bünting als Person blieb mir ein Rätsel. Seine Laienschauspielversuche hatten trotz allem Eindruck gemacht. Nach außen hin war er ein erfolgreicher Manager, ein Profiteur des Wirtschaftswunders, der es bis in die Vorstandsetage geschafft hatte. Privat lebte er zurückgezogen, in einer prächtigen Hütte, aber ohne weitere gesellschaftliche Anerkennung; es gab keine Bünting-Stiftung, kein Stadion, das nach ihm benannt war, er trat weder als öffentlicher Wohltäter in Erscheinung noch als politischer Lobbyist. Sein Name auf einem Rugby-Torpfosten – geschenkt. Zu Hause saß eine stumme Gattin zwischen Möbelstücken herum, und eine grazile Osteuropäerin führte ihm den Haushalt. Was noch? Er war es gewohnt, Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen; er hatte einen herben Rückschlag erlitten, als seine Firma zu 18 Millionen Dollar Strafzahlungen verdonnert worden war; sein Weltbild war rechteckig wie ein Geldschein und sein Gebaren zackig wie die Börsenkurve.
    Bravo, Max. Für diese Formulierung würde es Extraapplaus von Herrn Sawatzki und Frau Markwart geben. Ich spuckte den Grashalm aus, auf dem ich herumgekaut hatte. Nein, so kam ich nicht weiter. Ich durfte mich von Büntings kalter Überheblichkeit nicht paralysieren lassen. Vielleicht ging es ja um etwas ganz anderes als um Machtstreben und Geld. Aber um was?
    Vielleicht um eine alte Familiengeschichte? Genau besehen, gab es um Bünting herum nur traurige, gescheiterte Gestalten. Eine Frau, die nach acht Jahren Ehe zum Teufel geschickt wird. Ein Sohn, der durch diverse Studiengänge schlingert und dessen Flucht auf dem Grund einer Gebirgsschlucht endet. Ein Enkel, dem die Bewunderung für seinen Großvater die Luft zum Atmen nimmt. Und eine zweite Frau, die an einer namenlosen Krankheit leidet, in ihrer Hilfsbedürftigkeit das krasse Gegenbild zur verheerenden Tatkraft ihres Mannes. Wenn man so darüber nachdachte, konnte man den Eindruck bekommen, Büntings engste Verwandte – die Gattinnen, der Sohn – hätten ihm aus Erschöpfung und Verzweiflung die Gefolgschaft aufgekündigt, hätten sich lieber selbst zerstört als weiter in seinem Schatten dahinzuvegetieren.
    Zugegeben, das war nun doch etwas pathetisch formuliert.
    Aber da gab es noch etwas anderes. Stichwort Gefolgschaft aufkündigen. Marc Covet hatte es erwähnt: Fahnenflucht. Bünting war gegen Ende des Kriegs desertiert. Desertiert ... irgendwie passte das nicht. Es passte nicht zu seiner karriereschnittigen

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