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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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hätte ich auch sagen sollen? Das hier war kein studentischer Gemeinschaftsraum, es war eine Walhalla für die Sekundärtugenden von anno dazumal: als Männer noch Männer waren, als der Erbfeind über dem Rhein lauerte, als der angehende Magister seine Teure noch siezte und vor dem Ordinarius der juristischen Fakultät, einarmig seit Verdun, die Hacken knallen ließ.
    »Gibts hier auch was zu trinken?«, fragte ich Frank.
    »Na, klar«, lachte der Hüne, dass sein Nasenpfropf wackelte. »Du bist mir ja einer. Zu trinken gibts jede Menge, aber erst müssen wir dem Arsani zuhören.«
    »Ich setze mich dann mal.«
    »Mach das.«
    Frank verzog sich. Ich suchte mir einen Platz in der hintersten Stuhlreihe, nicht weit vom Ausgang entfernt. Nur so, quasi zur Sicherheit. Die Reihen vor mir begannen sich zu füllen. Die Burschen trugen heute keine Uniformen, sondern ein schmales Band in Grün-Weiß-Schwarz, das schräg über ihre Brust lief. Ihre flachen grünen Kappen hängten sie beim Eintreten auf Kleiderhaken, dafür breitete sich Dünkel auf ihren Gesichtern aus wie eine Hautkrankheit. Einige junge Damen – weiße Bluse und Halstuch, dunkle Leinenhosen und Pumps – standen noch in Grüppchen zusammen, fingerten an ihren Ohrclips herum und kicherten. Man konnte sie charmant nennen, wenn man höflich war. Ich war nicht höflich und nannte sie puppig, kreuzbrav und hinterhältig. Selbst wenn sich das widerspricht. Es gab auch ein paar männliche Gäste in Zivil, die mit Kennermiene auf die Militaria an den Wänden blickten. Und in den vorderen Reihen eine Handvoll gutgekleideter Wichtigtuer, die sich nicht erblödet hatten, ebenfalls eines dieser grün-weiß-schwarzen Bändchen anzulegen: die Alten Herren, von denen Frank ehrfurchtsvoll gesprochen hatte. Sie sabberten selig vor sich hin und hielten die vernarbten Wangen ins Abendlicht.
    Jemand klatschte in die Hände. Es war Marten, der Lange mit der Adlernase. Die Letzten nahmen ihre Plätze ein. Türen wurden geschlossen.
    Mein Blick fiel auf die Porträts ehemaliger Rheno-Nicarier an der seitlichen Wand. Scherenschnitte hatten für mich immer etwas Verspieltes gehabt. Diese hier jedoch wirkten wie ein Heer akademischer Söldner, das stumme Wacht über die Gegenwart hielt. Man war demselben Geist, derselben Sache verpflichtet und dokumentierte es durch einen tiefen Schnitt in der Wange. Hast du einst geblutet, will auch ich jetzt bluten.
    Unwillkürlich griff ich mir an die Backe. Über dem kleinen Riss in der Haut hatte sich eine dünne Blutkruste gebildet. Mittlerweile war ich überzeugt, dass ich die Wunde schon vor dem Eierwurf gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte sich einer der Prügelknaben auf dem Marktplatz die Fingernägel nicht geschnitten.
    »Meine Damen und Herren, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen ...«
    Marten hatte sich neben dem Rednerpult aufgebaut und eröffnete die Veranstaltung. Während er die üblichen Begrüßungsformeln herunterleierte – er leierte tatsächlich: »große Freude ... besonderes Vergnügen ... so zahlreich erschienen ... geschätzte Aufmerksamkeit ...« –, schlüpfte Arndt Bünting in den Saal. Die Miene verschlossen wie immer, an der Schläfe eine Beule. Wortlos nahm er neben mir Platz.
    Vorne übergab Marten das Staffelholz an Professor Arsani, den Kunsthistoriker. Arsani war in praktisch jeder Hinsicht das Gegenbild zu dem schlaksigen Oberburschen: ein fülliger Gelehrter mit leichtem Buckel und viel zu langen, halb ergrauten Haaren, der offensichtlich gerne lachte, gerne genoss, gerne lebte. Eine Koryphäe auf dem Gebiet der Malerei des 18. Jahrhunderts war er auch. Und ein Showmensch. Arsani stand nicht einfach hinter dem Rednerpult und hielt seinen Vortrag – er zelebrierte ihn. Breitete seine Arme aus und strahlte alle an. Trat neben das Pult, hüpfte auf die andere Seite. Als er einmal eine heftige Handbewegung machte, um die Körperlinie einer Venusfigur nachzuzeichnen, flatterte sein Skript zu Boden. Sollte es flattern! Was brauchte er ein Skript? Nein, was Professor Arsani brauchte, war die Nähe zu seinem Publikum. Ob mit Band oder ohne, kein Zuhörer entging seinen rhetorischen Umarmungen.
    Sagen wir, fast keiner. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, über welches Thema der Professor sprach. Der junge Bünting stieß mich genau in dem Moment an, als Arsani den Titel seines Vortrags bekanntgab. Ich glaube, es ging um die Geschichte deutscher Beutekunst im Osten oder der Beutekunst im deutschen Osten ... so was

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