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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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die Erde heute Morgen die falsche Rotationsrichtung eingeschlagen. Schmisse wurden jetzt mit Eierschalen verfertigt. Tote hatten auf Gräbern zu liegen. Keine Ahnung. Mir fielen die Augen zu. Die Lider wurden schwer.
    Und dann schreckte ich doch noch einmal hoch.
    Ich öffnete die Augen. Was war denn ...? Was hatte ich ...? Neben mir leckte sich Arndt einen Tropfen Blut vom Finger ab. Wie Katerina die Sahne im Arsenal . Aber was hatte mich aus meinen Gedanken gerissen? Irgendeine Bemerkung von vorne, ein Wort, ein Name, den Arsani erwähnt und den ich vor Kurzem schon einmal gehört hatte. Oder gelesen? Komisch ... Vielleicht wiederholte er ihn. Er sprach gerade über einen Dürer aus russischen Beständen, der im letzten Jahrhundert von mehreren Kunstgeschichtlern als Musterbeispiel eines ... oder einer ... Da senkte sich erneut ein Schleier der Müdigkeit über mich, und Arsani tat mir nicht mehr den Gefallen, einen Namen hinauszuposaunen, der mir bekannt vorkam.
    Schade; war aber wahrscheinlich nicht so wichtig.
     
     

30
    Was war das bisher für ein unergiebiger Tag gewesen! Morgens hatte ich mein Rennrad repariert, immerhin. Aber dann! Fattys lauwarmer Bericht. Das 20-Euro-Gespräch mit der Ukrainerin. Und am Ende mein Besuch im Gruselkabinett der Rheno-Nicaria . Kein guter Tag für einen Ermittler, der einen Industriellen zur Strecke bringen möchte.
    Aber es lag nicht nur an den anderen, dass ich nicht vorwärtskam. Ich selbst war außer Form. Nachdem ich mich am frühen Nachmittag vor dem Arsenal von Katerina verabschiedet hatte, fühlte ich mich müde, schlapp, ausgelaugt. Ich hatte keine Lust mehr, Leute zu befragen, Informationen aus ihnen herauszuquetschen. Wahrscheinlich ein Signal für meine Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung. Oder eine Folge der Püffe, Knüffe und Stöße, die mich in kürzester Zeit heimgesucht hatten. Wie auch immer, mein Körper war auf Feiertag eingestellt. Er schrie nach einer Auszeit.
    Kurz entschlossen zog ich die Konsequenz: Ich gönnte mir diese Auszeit. Wenn Katerina im Oberen Auweg eintraf, würde Fatty längst Position bezogen haben. Diesem Schafstett in Wieblingen konnte ich auch morgen noch einen Besuch abstatten. Vielleicht hatte Covet neue Informationen für mich; ich würde ihn am Abend anrufen. Jetzt nicht.
    Ich fuhr nach Hause, um die Räder zu tauschen, und schlug anschließend den Weg nach Handschuhsheim ein. Es war warm und schwül, im Westen kündigte sich der erste Regen an. Schon nach einer Viertelstunde begann ich zu schwitzen. Vom Mühltal aus windet sich eine autofreie Waldstraße hoch zur Gastwirtschaft am Weißen Stein, wo brüllend gut gelaunte Senioren in roten Wollsocken und Wanderstiefeln die Humpen kreisen ließen. Ich flüchtete in die Waldeinsamkeit, umrundete Wilhelmsfeld und kehrte schließlich zum Heiligenberg zurück. Mountainbiker begegneten mir, bunt gekleidete Grüppchen auf schlammverspritzten Rädern; ich fluchte, wenn sie zu schnell fuhren oder zu langsam oder überhaupt fuhren ... ich spürte, wie aggressiv ich war, wie ich an jedem etwas auszusetzen, etwas zu mäkeln hatte, an ihren Helmen, ihren Trinkflaschen, ihren Fahrradcomputern, ihren Gesten. Ich selbst hatte nur mein Tourenrad, meine durchgeschwitzte Alltagskleidung und meine schlechte Laune, die ich Stück für Stück im lichten Frühlingswald zurückließ.
    Oberhalb des Philosophenwegs legte ich eine Pause ein. Ich lehnte mein Rad an eine Holzhütte und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es war still hier oben, man hatte einen prächtigen Blick über den Neckar und ins diesige Rheintal. Unten an der Eichendorffanlage klickten leise die Kameras.
    Ich suchte mir einen bequemen Sitzplatz unter einem Ahorn, riss einen Grashalm ab und knabberte darauf herum. Mein Blick schweifte über das Häusermeer der Altstadt. Alles wirkte friedlich, vertraut, alltäglich. Und doch hatte dort unten, auf der gegenüberliegenden Neckarseite, ein Mann auf einem Grab gelegen, er war ermordet und fortgebracht worden. Von hier oben war der Bergfriedhof nicht zu sehen, er lag südwestlich der Altstadt, im Rücken des Gaisbergs. Wie kam man überhaupt auf die Idee, einen Friedhof terrassenartig an einem Berghang anzulegen? So demonstrativ dem Betrachter zugewandt? Nur wenige Gehminuten oberhalb des Bergfriedhofs gab es eine weitere seltsame Heidelberger Gedenkstätte, den Ehrenfriedhof. Den hatten die Nazis in den 30er-Jahren auf dem flachen Sattel des Ameisenbuckels in den Wald gefräst

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