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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Biographie. Nicht, dass ich den Alten für einen Nazi gehalten hätte – man konnte auch als Demokrat seine dunklen Seiten ausleben. Aber zu einer Desertion gehörte Zivilcourage, gehörte die Revolte gegen Hierarchien, und beidem stand Bünting denkbar fern. Nicht zu vergessen, welch schlechten Ruf Deserteure bis heute genießen. Oder war es dem alten Trickser etwa gelungen, seine Fahnenflucht für die spätere Karriere zu nutzen, indem er sich den Besatzungsmächten als Widerständler andiente? Verdammt, ich wusste einfach zu wenig über den Silberrücken. Vielleicht konnte mir Marc Covet weiterhelfen.
    Im Westen sammelten sich Wolken. Heute Abend würde es den lang angekündigten Regen geben und ein veritables Gewitter dazu. Es war eindeutig zu warm für diese Jahreszeit. Ich bestieg mein Rad und rollte abwärts.
    Covet war nicht zu Hause. Also machte ich mich auf ins Theatercafé Hinterbühne , in dem er gewöhnlich seine freie Zeit verbringt: Zeitungen lesend, Bekannte treffend, Artikel entwerfend. Er saß an einem runden Glastisch, vor sich einen Teller mit angemachtem Camembert, in der Hand die Bild -Zeitung. Als er mich sah, legte er sie beiseite und sah mich vorwurfsvoll an.
    »Guten Appetit«, sagte ich.
    »Schon gelesen?«, erwiderte er und reichte mir die Zeitung.
    »Wieso sollte ich?«
    »Weil es um deine Heimatstadt geht.«
    Ich setzte mich und warf einen Blick auf die Titelseite. »Die Chaos-Stadt – Anarchie in Heidelberg!« stand dort.
    »Anarchie?«, lachte ich. »Das wüsste ich aber.« Dann las ich weiter. »Erst die Amok-Bullen, jetzt die Linken. Horror in der Stadt der Romantik!«
    »Ja«, sagte ich. »Interessant, das da.«
    »Warum darf ich nicht so etwas titeln?«, fragte Covet. »Immer nur diese Scheißtypen. Amok-Bullen ... das würde mir auch noch einfallen. Aber mich lässt man ja nicht. Mich nicht.«
    »Dürfen die das überhaupt? Ich meine, Bulle ... das ist doch ein Schimpfwort.«
    »Na und? Glaubst du, da beschwert sich einer? Für eine solche Überschrift nehmen die alles in Kauf: Amok-Bullen ... Die wird in Gold aufgewogen.«
    »Und wie ist der Artikel?«
    »Hab ich nicht gelesen. Bin am Aufmacher hängengeblieben.«
    »Bringt ihr morgen auch etwas über das Mai-Einsingen?«
    »Na, sicher. Mit Fotos und allem Drum und Dran. Aber ich ...« – er hob abwehrend beide Hände – »...habe kein Teil daran.«
    »Fotos? Na, prima.«
    »Wieso? Warst du dabei?«
    »Am Rande. Und die Geschichte mit den ... mit den Amok-Bullen? Legt ihr da noch mal nach? Fordert ihr die standrechtliche Erschießung der beiden?«
    Marc winkte ab. »Alles halb so wild. Die Nichte unseres Chefredakteurs war unter den Schülern. Da hatten die zwei keine Chance, ungeschoren davonzukommen. Aber die Polizeigewerkschaft hat schon interveniert; man steht blendend mit dem Herausgeber, und deshalb wird am Mittwoch garantiert ein Leitartikel erscheinen, der die ganze Chose zurechtrückt und diesen Radfahrer zum Hauptschuldigen stempelt.«
    »Den Radfahrer, also doch.«
    Er nickte.
    »Weiß man schon, wer es war?«
    »Nein.«
    »Soso. Sag mal, gibt es in diesem Schuppen irgendetwas Trinkbares, was meiner finanziellen Situation angemessen wäre? Es muss auch nicht bernsteinfarben sein.«
    »Schon gut, halt die Luft an. Du bist eingeladen.«
    »Quatsch, so meinte ich ...«
    Er schüttelte den Kopf. »Es macht schließlich keinen Spaß, alleine zu saufen.«
    Das war ein wenig geflunkert. Marc trinkt lieber in Gesellschaft, das stimmt; zur Not jedoch – und die Not ist häufig groß und verhängnisvoll – prostet er sich auch gerne selbst zu, ganz gleich, wo er sich gerade befindet. Er nickte dem Kellner zu, der ihm sofort eine volle Flasche Whisky und zwei Gläser über die Theke reichte. So wurden nur Stammgäste behandelt.
    »Übrigens«, sagte er, während er uns einschenkte. »Ich habe noch ein paar Informationen für dich. Falls du deswegen gekommen bist.«
    »Schieß los.«
    »Ein paar Ergänzungen zu deinem Mann aus der Teebranche.«
    »Chemiebranche.«
    »Meine ich doch. Der mit dem Teenamen.«
    »Ja, so weit waren wir schon mal.« Ich prostete ihm zu.
    »Cheers! Ich habe mich unter den Kollegen ein bisschen umgehört und unser Archiv noch einmal konsultiert. Zunächst zu seiner familiären Situation; die ist schnell abgehandelt. Seine erste Frau, diese Celestine, stirbt Anfang der 70er-Jahre, woraufhin sein Sohn zu ihm zurückkehrt. Der macht in Heidelberg Abitur, fängt an zu studieren und hat mit 24 einen

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