Bergisch Samba
richtig.«
»Was heißt das?«
Frau Broich senkte die Stimme. »Sie ist Ausländerin.«
Ich wartete, dass die Frau noch etwas sagte, aber da kam nichts. Ich verstand, dass Ausländer hier wohl per se als so merkwürdig galten, dass sie unmöglich Teil einer Familie sein konnten.
»So«, sagte ich. »Es wohnen also Ausländer in der Hütte.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur sie ist Ausländerin. Er nicht.«
»Wer ist er?«
»Ratnik. Der Sohn.«
Ich machte ein verständnisloses Gesicht, und sie setzte zu einer Erklärung an. »Der alte Ratnik hatte da oben eine Jagdhütte. Also ein Waldgrundstück mit einer Hütte drauf. Als er dann gestorben ist, erbte sie der Sohn.«
»Und der wohnt da immer noch?«
»Weiß ich nicht. Er ist lange nicht mehr aufgetaucht. Er geht nicht gerne unter Leute, wissen Sie. Ich weiß auch gar nicht, ob er die ganze Zeit da gewohnt hat, lassen Sie mich mal überlegen -«
»Ich hatte Sie eigentlich nach einem Kind gefragt«, unterbrach ich sie.
Sie machte ein erstauntes Gesicht. »Ach! Habe ich das noch nicht erwähnt? Da wohnte auch ein Kind.«
»Ein Kind von Ratnik und der Frau?«
»Wahrscheinlich.«
»Wann haben Sie das Kind zuletzt gesehen?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften und dachte nach. »Das war irgendwann im Frühjahr. Oder war's vor Weihnachten?« Sie wies auf eine Rasenfläche, auf der Wäscheleinen gespannt waren. Direkt daneben zog sich der Weg in Richtung Horizont. Genau auf die Weide mit den Bäumen zu.
»Hier. Da habe ich gestanden und Wäsche aufgehängt. Da kam die Frau mit dem Kind den Weg runter. Ich ging natürlich gleich hier rüber. Gesindel hat hier nichts verloren. Das ist Privatbesitz.«
Sie sah mich mürrisch an. Offenbar wartete sie auf einen Kommentar von mir.
»Und weiter?«
»Ich erklärte ihr dann, dass sie gefälligst dahin gehen sollte, wo sie hergekommen ist. Freundlich natürlich.«
»Und wie hat sie reagiert?«
»Stellen Sie sich vor. Die hat kein Wort Deutsch verstanden. Sie hat immer nur ›Ratnik‹ gesagt und nach hinten in Richtung Weide gezeigt. Später habe ich sie dann noch mal aus dem Wald kommen sehen. Da hat sie sich aber schon gar nicht mehr hergetraut. Recht so.«
Ich sah mir das trostlose Panorama an. »Die Hütte ist also da hinten, oder?«
Sie nickte.
»Aus welchem Land kam die Frau?«
»Woher soll ich das wissen? Sie hat ja kaum was gesagt. Sie hatte dieses Kind dabei, und das hat dann auch gleich rumgequengelt. Äußerlich sah die gar nicht wie eine Ausländerin aus. Gut - die Haut war vielleicht etwas mehr gebräunt, als man das so kennt. Aber diese jungen Frauen, die gehen ja alle auf die Sonnenbank.«
»Haben Sie mit Ratnik mal über die Frau gesprochen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Mit dem können Sie nicht sprechen. Der will immer allein sein. Als der alte Ratnik noch lebte, hatte der schon nichts als Scherereien mit seinem Sohn.«
»Was denn für Scherereien?«
»Der Jonas - so heißt der junge Ratnik -, der wollte immer für sich sein. Ist von zu Hause ausgerissen und so. Mit sechzehn ist er mal einfach von der Schule aus nach Hamburg gefahren und hat versucht, auf ein Schiff zu kommen. So ein Abenteurer. Verantwortungslos. Manche Leute sind schon mit ihren Kindern geschlagen.«
»Warum ist der junge Ratnik in die Hütte gezogen? Kann er sich keine Wohnung leisten?«
»Weiß ich nicht so genau. Jedenfalls hat sein Vater ihm nichts vererben können. Er hatte eine Kfz-Werkstatt in Gummersbach, aber die hat schon lange vor seinem Tod Pleite gemacht. Ihr Wohnhaus hatten sie auch verkauft. An die Bank. Schulden, verstehen Sie? Nur die Hütte war noch da. Und da ist dann der Jonas untergekrochen wie ein Penner. Eigentlich ist das nicht erlaubt. Man darf in solchen Waldhütten nicht wohnen. Aber alle haben ein Auge zugedrückt.«
»Kann man zu der Hütte mit dem Auto fahren?«
»Schlecht.«
»Und wie komme ich da hin?«
»Folgen Sie dem Weg am Weidezaun entlang. Nach so etwa einem Kilometer geht's nach rechts in den Wald rein und dann immer geradeaus. Irgendwann kommen Sie an eine Abzweigung, die führt runter nach Bleche, auf die andere Seite. Die dürfen Sie aber nicht nehmen. Sie müssen immer weiter. Ganz am Ende ist es dann.«
Die Beschreibung klang so ähnlich wie die zu Ehrlichs Müllkippe.
»Kann ich meinen Wagen hier stehen lassen?«
Sie wandte sich zu meinem Auto um und schien eine Weile zu prüfen, ob es da auch wirklich nicht störte. Dann erst nickte sie.
Ich marschierte
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