Bergisch Samba
ich konnte, stieg ich die Treppe hinunter. Vor dem Ausgang blieb ich in Deckung und spähte hinaus. Auf der Wiese war nichts zu sehen. Über den Bäumen erhob sich ein erschreckter Vogelschwarm und zog über den Himmel.
Instinktiv tastete ich an die Stelle, an der ich bei manchen Einsätzen meine Pistole trug. Heute hatte ich sie jedoch nicht dabei.
BUMM!
Es klang nicht so, als würden die Schüsse auf der Lichtung abgefeuert.
Ich zögerte noch eine Weile, dann wagte ich, hinaus auf die Wiese zu rennen. Nichts hielt mich auf, und ich sprintete weiter in den Wald. Am steilen Stück mit den Tannenwurzeln kam ich fast ins Stolpern.
BUMM!
Wenn mich nicht alles täuschte, kam das aus dem nächsten Tal, in das der abzweigende Weg führte. Nach Bleche, wie Frau Broich gesagt hatte. Ich blieb stehen. Sollte ich zum Auto zurücklaufen oder herausfinden, wer da in der Gegend herumballerte?
BUMM!
Wieder ein Schuss, wieder das ferne Rollen.
Ich entschied mich, der Sache nachzugehen. Vielleicht trieb ich ja einen weiteren Zeugen auf.
Ich folgte dem Weg, der ein wenig breiter war als der, der von Broichs aus zur Hütte führte. Kurz nach der Abzweigung weitete er sich sogar so weit aus, dass man mit dem Auto darauf fahren konnte. Ich registrierte in dem nassen Schlamm vage Reifenspuren.
BUMM!
Ich legte einen Schritt zu. Es ging jetzt durch ein enges Tal, und der Weg führte um eine lang gestreckte Kurve. Als ich es endlich geschafft hatte, kam ein paar hundert Meter weiter hellerer Himmel ins Blickfeld. Wieder eine ausgedehnte Weide, und mitten darauf ein kleines Fachwerkhaus. Zwischen den Obstbäumen im Garten stand ein Mann mit einem Gewehr. Er warf irgendetwas in den Himmel, legte an, zielte, und - BUMM! Dann lief er zu der Stelle, wo das, was er abgeschossen hatte, heruntergekommen war, hob es auf und warf es in einen Pappkarton. Er griff neben sich, nahm etwas anderes, was ich nicht identifizieren konnte, warf es hoch und -BUMM!
Alles ganz harmlos, dachte ich. Da übt einer Tontaubenschießen. Vielleicht nicht gerade ein typischer Sport für das Bergische Land, aber die Leute haben hier eben so ihre Eigenarten.
Als ich näher kam, sah ich etwas Eigenartiges. Zugegeben: Ich habe keine Ahnung, wie die Scheiben aussehen, die man normalerweise für das Tontaubenschießen verwendet. Der Mann hier benutzte jedenfalls etwas, das eigentlich nicht dafür gedacht war. Etwas sehr Flaches, Silbernes. Als ich schwer atmend am Zaun ankam, sah ich, dass es CDs waren. Er hatte neben sich einen Haufen davon im Gras liegen. Lose, ohne die dazugehörige Plastikverpackung.
Der Mann sah mich und nickte freundlich. Dann nahm er wieder eine CD und warf sie nach oben. Die flache Scheibe hatte eine sehr gute Aerodynamik und flog so hoch, dass sie mit dem grauen Himmel verschmolz. Der Mann legte an, BUMM!, weiter hinten auf der Weide flog etwas herunter. Er rannte hin und hob es auf. Ich war mittlerweile fast bei ihm. Er zeigte mir grinsend die CD - mit einem Loch in der Mitte und einem am Rand.
»Sind die Dinger nicht ein bisschen zu schade dafür?«, fragte ich.
»Das ist genau das, was sie verdienen«, sagte der Mann.
Wieder ging das Spiel eine Runde weiter. CD aus dem Haufen nehmen, hochwerfen, schießen und - BUMM! - der Silberscheibe ein weiteres Loch verpassen, die CD holen und in den Karton werfen. Auf dem Karton stand mit dickem Edding »ABFALL« geschrieben.
»Treffen Sie jedes Mal?«
»Klar«, sagte der Mann. »Das macht die Übung. Und der Hass.«
»Der Hass?«
Er nickte. »Der Hass auf das, was auf diesen CDs ist. Dieser Dreck, der sich Musik nennt.«
Die nächste Runde begann. CD nehmen, hochwerfen, schießen, BUMM!, holen, wegwerfen.
Mich beschlich das ungute Gefühl, es mit einem Irren zu tun zu haben. Eine Sekunde lang fragte ich mich sogar, ob ich mich wieder in einem von meinen lebhaften Träumen befand. Die Szene war einfach absurd: ein Novembernachmittag, an dem das letzte graue Licht über die Wiesen, Weiden und Wälder des Bergischen Landes sickerte. Und mittendrin, neben einem kleinen Fachwerkhaus, schoss einer auf CDs. Und behauptete, es aus Hass zu tun. Jutta würde das mit einem einzigen Wort beschreiben: »Strange«.
Ich betrachtete den Mann genauer. Er hatte schwarze Haare und trug eine Brille mit schwarzem Rand. Ich schätzte ihn auf höchstens Anfang dreißig. Er machte auf mich den Eindruck eines überalterten Studenten.
»Wird es Ihnen nicht langsam zu dunkel dafür?«, fragte ich.
»Ich
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