Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Sonnenburg; lebenslänglich oder fuffzehn hat er verdient. Der mit seine Obstwagen.« Franz: »Der lebt gar nicht von Obstwagen.« »Nee, der ißt ooch Fleisch, aber tüchtig.« Herbert: »Aber Mensch, Franz, du bist doch nicht von gestern, das weeßte doch alleine, das siehste dem Mann doch an.« Franz: »Ich habe gedacht, der lebt vom Obsthandel.« »Na und was wolltest du denn am Sonntag, wie du mit dem gegangen bist.« »Wir wollten Obst abholen für die Markthalle.« Franz liegt ganz ruhig. Herbert bückt sich über ihn, um seine Miene zu sehen. »Und das hast du geglaubt?«
Franz weint wieder, jetzt ganz still, den Mund hat er geschlossen. Er ist die Treppe runtergegangen, ein Mann hat in seinem Notizbuch Adressen gesucht, dann war er bei Pums in der Wohnung und Frau Pums sollte Cilly einen Zettel schikken. »Natürlich hab ichs geglaubt. Dann hab ichs aber gemerkt, mich haben sie angestellt zum Schmierestehen und dann –«
Die drei blicken hin und her. Was Franz sagt, ist wahr, das ist ja aber gar nicht zu glauben. Eva rührt an seinen Arm: »Na was war dann?« Franz hat schon den Mund auf, jetzt es sagen, jetzt wird es raus sein, es wird bald gesagt sein. Und er sagt: »Dann hab ich nicht gewollt und dann haben sie mir aus dem Auto geschmissen, weil ein Auto hinterherkam.«
Still, nichts weiter sagen, und ich bin überfahren worden, ich hätte auch tot sein können, sie wollten mich umbringen. Er schluchzt nicht, er hält ganz an sich, die Zähne zusammen, die Beine gestreckt.
Die drei hören es. Jetzt hat er es gesagt. Es ist die lautere Wahrheit. Sie wissen es augenblicklich alle drei. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, hat Gewalt vom großen Gott.
Herbert fragt noch: »Sag mir bloß noch, Franz, wir gehen bald raus: zu uns biste nicht gekommen, weil du Zeitung handeln wolltest?«
Er kann nicht sprechen, er denkt: Ja, ich wollte anständig bleiben. Ich bin anständig geblieben bis zuletzt. Da müßt ihr euch nicht drüber kränken, daß ich nicht her kam. Ihr seid meine Freunde geblieben, ich hab keinen von euch verraten. Er liegt stumm, sie gehen raus.
Die sitzen dann, wie Franz wieder sein Schlafmittel genommen hat, in der Kneipe unten und kriegen die Worte nicht aus dem Munde. Sie sehen sich nicht an. Eva zittert nur so. Das Mädel hat den Franz haben wollen, wie er mit der Ida ging, der ließ aber die Ida nicht, obwohl die schon auf den Breslauer aus war. Sie ist gut mit ihrem Herbert, sie hat alles von ihm, was sie will – aber sie hängt noch immer an Franzen.
Wischow läßt heißen Grog anfahren, sie gießen ihn alle drei gleich runter. Wischow bestellt neuen. Ihre Kehlen bleiben zu. Eva hat eisige Hände und Füße, alle Augenblick gießt es ihr kalt über den Hinterkopf und Nacken, sogar die Oberschenkel werden ihr frostig, sie schlägt sie übereinander. Emil hat den Kopf breit auf die Arme gestemmt, er kaut vor sich, lutscht an seiner Zunge, schluckt die Spucke runter, dann muß er auf den Boden qualstern. Herbert Wischow, der junge, sitzt stramm auf dem Stuhl, wie auf einem Pferd; er sieht aus wie ein Leutnant vor seiner Truppe, das Gesicht bewegungslos. Sie sitzen alle hier nicht im Lokal, sie stecken nicht in ihrer Haut, Eva heißt nicht Eva, Wischow nicht Wischow, Emil nicht Emil. Es ist eine Mauer um sie eingerissen, eine andere Luft, eine Finsternis ist eingeströmt. Sie sitzen noch am Bette von Franz. Es geht ein Schauer von ihnen zum Bett von Franz.
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, hat Gewalt vom großen Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser.
Herbert dreht sich zum Tisch um, ist heiser: »Wer war es denn bloß?« Emil: »Wer denn?« Herbert: »Wer hat ihn rausgeschmissen.« Eva: »Das versprichste, Herbert, wenn du den faßt.« »Brauchst mir nicht zu sagen. Daß so was auf der Erde rumlooft. Aber, aber.« Emil: »Mensch, Herbert, kannste dir so wat denken.«
Nichts hören davon, gar nicht dran denken. Eva zittern die Knie, sie bettelt: »Herbert, mach doch wat, Emil.« Aus dieser Luft heraus. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Herbert schließt: »Wat machen, wennste nicht weeßt, was ist. Erst kriegen wir raus, was ist. Eventuell, eventuell lassen wir die ganze Lumpenbande von Pums hochgehen.« Eva: »Und Franz geht mit hoch?« »Eventuell sage ich, machen wir det. Franz war nicht dabei, nicht richtig, det sieht ein Blinder, det gloobt ihm jeder Richter. Det ist nachzuweisen: den haben sie vort Auto geschmissen. Sont hätten siet nicht
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