Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
sumpft noch ein bißchen weiter in der Politik. Der schneidige Willi hat nicht viel Geld, er ist ein scharfer heller Kopf, aber unter den Taschendieben ein Anfänger, und darum mistet er Franz aus. Er war mal Fürsorgezögling, da hat ihm einer was erzählt von Kommunismus und daß das nischt is, und ein vernünftiger Mensch gloobt nur an Nietzsche und Stirner und tut, was ihm Spaß macht; alles andere ist Stuß. Da hat der gerissene höhnische Kerl jetzt ein mächtiges Spaßvergnügen daran, in politische Versammlungen zu gehen und aus dem Saal heraus Opposition zu machen. Aus den Versammlungen fischt er sich Leute raus, mit denen er Geschäfte machen will oder die er bloß verhohnepipelt.
Franz läuft nur noch ein bißchen mit dem. Dann ist es aus, überhaupt mit der Politik, auch ohne Mieze und Eva.
Er sitzt da eines Spätabends am Tisch mit einem älteren Tischler, den sie in einer Versammlung kennengelernt haben; Willi steht derweil am Ausschank und hat einen andern vor. Franz hat den Arm aufgestützt auf den Tisch, den Kopf in der linken Hand und hört sich das an, was der Tischler sagt, der sagt: »Weeßte, Kollege, ich bin bloß hingegangen in die Versammlung, weil meine Frau krank ist, und die kann mir abends nicht zu Hause brauchen, die braucht ihre Ruhe, um Uhre acht nimmt sie Schlag achten ihre Schlaftablette und den Tee, und dann muß ich duster machen, wat soll ich denn oben. Da kann man zum Kneipenleben kommen, wenn einer eine kranke Frau hat.«
»Gib sie doch ins Krankenhaus, Mensch. Zu Hause is doch nischt.«
»War ja schon ins Krankenhaus. Hab ick schon wieder rausgeholt. Das Essen hat sie nicht da geschmeckt, und besser ist es ooch nicht geworden.«
»Ist woll sehr krank, deine Frau?«
»Die Gebärmutter ist angewachsen an den Mastdarm und sowat. Und dann haben sie sie schon operiert, aber es hilft nischt. Im Leib. Und nu sagt der Arzt, es ist bloß nervös, und da hat sie nischt mehr. Aber sie hat doch Schmerzen, heult den ganzen Tag.«
»Sowat.«
»Der schreibt ihr noch bald gesund, paß man uff. Schon zweimal hat sie zum Vertrauensarzt sollen, weeßte, aber kann ja nich hin. Der schreibt ihr noch gesund. Wenn einer kranke Nerven hat, denn ist er gesund.«
Franz hört sich das an, er ist auch krank gewesen, der Arm ist ihm abgefahren, er hat in Magdeburg in der Klinik gelegen. Er braucht das alles nicht, das ist eine andere Welt. »Noch ein Bier gefällig?« »Hier.« »Ein Bier.« Der Tischler sieht Franzen an. »Du gehörst nicht zur Partei, Kollege?«
»Früher mal. Jetzt nicht mehr. Hat ja keenen Zweck.«
Der Wirt setzt sich an ihren Tisch, begrüßt den Tischler mit »Nabend, Ede«, und fragt nach den Kindern, und dann tuschelt er: »Mensch, du wirst doch vielleicht nich wieder politisch werden.«
»Reden wir grade von. Denk gar nicht dran.« »Na, det is schön von dir. Ick sage, Ede, und mein Junge sagt dasselbige wie ick: mit Politik verdienen wir keenen Sechser, det bringt uns nicht hoch, bloß andere.«
Da sieht der Tischler ihn mit verkniffenen Augen an: »So, det sagt der kleene August also auch schon.«
»Der Junge ist gut, sag ick dir; dem kannste doch nischt vormachen, da soll erst einer kommen. Wir wollen verdienen. Und – et geht auch ganz schön. Nur nich brummen.«
»Na Prost, Fritze. Ick gönne dir alles.«
»Ick pfeife auf den ganzen Marxismus, uff Lenin und Stalin und die ganzen Brüder. Ob mir eener Kredit gibt, Pinke und wie lange und wie viel – siehste, darum dreht sich die Welt.«
»Na, du hasts zu wat gebracht.« Darauf sitzen Franz und der Tischler stumm. Der Wirt quasselt noch, aber der Tischler kollert:
»Ick versteh von Marxismus nischt. Aber paß mal uff, Fritze, so einfach, wie du dir det ausmalst in deinem Hirnkasten, ist das nicht. Wat brauch ick Marxismus oder wat die andern sagen, die Russen, oder der Willi mit Stirner. Kann ooch falsch sein. Wat ick nötig habe, kann ick mir jeden Tag an die Finger abzählen. Ick wer doch verstehen, wenn mir einer den Buckel vollhaut, was det bedeutet. Oder wenn ick heute drin bin in meine Bude, und morgen fliege ich raus, keene Aufträge da, der Meister bleibt, der Herr Chef natürlich auch, bloß ick muß raus und uff die Straße und muß stempeln. Und – wenn ick drei Göhren habe und die gehen in die Gemeindeschule, die älteste hat krumme Beine von der englischen Krankheit, wegschicken kann ich ihr nich, vielleicht kommt sie in der Schule mal ran. Vielleicht kann meine Frau ooch uffs Jugendamt
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