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Berlin blutrot

Berlin blutrot

Titel: Berlin blutrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: u.a. Sebastian Fitzek
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Tag. Stattdessen also Endlosparty im Kunstdschungelparadies, einstimmig beschlossen von einer Handvoll impertinenter Grünschnäbel, denen sie zu allem Überfluss demnächst ein Reifezeugnis auszustellen hatte, für Leistungen, die zu ihrer Zeit nicht einmal für die Mittelschule ausgereicht hätten.
    Doch Nike wusste trotz ihres Vornamens, wann es aussichtslos war, eine Schlacht zu schlagen. Sie hatte sich stattdessen mit einem Teilsieg begnügt und auf einem anderthalbtägigen Berlinaufenthalt bestanden, bevor sich die Klasse wunschgemäß ein paar Kilometer weiter in jene geschmacklos-bunte Amüsierzone begab.
    „Anderthalb Tage Berlin? Naja, okay. Aber danach wollen wir einfach nur noch abchillen“, hatte Sven-Christoph Fleischhauer erklärt.
    Abchillen. Aha. Schwerlich durchführbar angesichts der von den Betreibern des Plastikparadieses avisierten Temperaturen. „Im Tropical Paradise ist mit konstanten 26 Grad an 365 Tagen im Jahr Sommer angesagt“, las Nike halblaut und pochte mit den Fingerknöcheln auf die Schreibtischplatte; so, wie sie es auch in der Schule zu tun pflegte, wenn sprachliche Unbotmäßigkeiten ihr sofortiges Einschreiten erforderten. Angesagt? Nike schüttelte sich beinahe vor Widerwillen. Um was für eine Tätigkeit sollte es sich denn dabei in Bezug auf eine Jahreszeit handeln? Stand in diesem hochglanzbunten Seifenblasendschungel allmorgendlich jemand auf, griff zu einem Megaphon und brüllte: “Sommer!“, auf dass Letzterer für weitere 24 Stunden flächendeckend und raumfüllend angesagt war?
    Sie entsorgte den Prospekt im Papierkorb, schob das Namensschildchen in die dafür vorgesehene Hülle und befestigte es an ihrem Koffer.
    Sie hatte darauf bestanden, während der Abchill-Tage in einem der nahegelegenen Hotels zu wohnen, während die Schüler gemeinsam mit Dr. Kohlhaase – dem Englischlehrer – innerhalb des Plastikparadieses nächtigen würden, in einem der so genannten Regenwald-Camps. „Romantik pur“ hieß es dazu im Prospekt.
    Nike presste die Lippen zusammen. Sie war zu alt für Romantik.
    In jeder Beziehung.
    Sie legte das Geld für die Reinemachefrau auf den Küchentisch, bestellte ein Taxi, nahm ihren Mantel und Regenhut vom Garderobenhaken und betrat, nachdem sie sich sorgfältig vergewissert hatte, dass der Gasherd abgestellt und die Wohnungstür ordnungsgemäß verschlossen war, den Fahrstuhl.
    Bevor sie das Haus verließ, leerte sie den Briefkasten und verstaute seinen Inhalt in ihrer Handtasche, vor Knicken und Knittern bewahrt zwischen einer leinengebundenen Ausgabe von Fontanes „Irrungen Wirrungen“ und einem Kriminalroman. „Der Duft des Bösen“ von Ruth Rendell. Man hat halt seine kleinen Schwächen …
    Das Taxi stand mit laufendem Motor in der zweiten Reihe.
    „Guten Morgen!“, sagte Nike. Der Fahrer schien das überhört zu haben. Wortlos bugsierte er Nikes Gepäck in den Kofferraum. „Brucknerstraße 15“, fuhr Nike fort, und als der Fahrer weiterhin schwieg, setzte sie mit erhobener Stimme „Bitte!“ hinzu.
    Der Fahrer knallte die Heckklappe zu und stieg ohne erkennbare Gemütsregung ein, während Nike seufzend auf der Rückbank Platz nahm.
    Meine letzte Abiturreise, dachte sie, während sie vergeblich an dem speckigen, hoffnungslos festgeklemmten Anschnallgurt zerrte. Abchillen. Wie jämmerlich. Und das nach mehr als vierzig Dienstjahren.
    Vor der Schule hatte sich bereits die halbe Klasse versammelt; die Mädchen in Fragmenten dessen, was man früher als Strandkleidung bezeichnet hätte, die Jungen fast ausnahmslos in Hosen, die aufgrund ihrer Weite keinerlei Fragen hinsichtlich der Unterwäsche ihrer Träger, sowie deren diesbezüglicher Schmutztoleranz offen ließen.
    „Guten Morgen“, sagte Nike.
    Sven-Christoph Fleischhauer entfernte seine Zunge vorübergehend aus Laura Radkes Mundhöhle. „Hi“, sagte er.
    „Hi“, echote seine Entourage und machte keine Anstalten, die Kopfhörer aus den Ohren zu pulen, um weiter Konversation zu machen.
    Dr. Kohlhaase hatte es sich nicht nehmen lassen, in Khaki-Bermudas und Hawaii-Hemd zu erscheinen. „Hallo“, begrüßte er Nike und streckte ihr strahlend seine behaarte Pranke entgegen.
    „Tachchen!“
    Was um Himmels Willen ist gegen „Guten Morgen, Frau von Redlitz“ einzuwenden?, fragte sich Nike zum soundsovielten Mal. Sie lächelte dünn. „Wussten Sie“, sagte sie, während sie
    flüchtig Kohlhaases Hand drückte, „wussten Sie, dass das Wort Hallo einem Ondit zufolge aus dem

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