Berlin Fidschitown (German Edition)
aufwächst.“
„Was einen großen Unterschied macht.“ Sie verlangte die Rechnung und schaute Farang forschend an. „Also ...?“
Er erwiderte ihren Blick.
„Da ich Büro und Archiv bis auf Weiteres zu Hause habe, gehen wir am besten zu mir“, sagte sie. „Es sei denn, Sie sind zu müde.“
„Ich schlafe nur, wenn nichts Wichtiges anliegt.“
45
„Sie haben den Tay Duc über die Bärenbrücke gebracht“, bestätigte der Mann mit der Froschhand die Vermutungen seines Vorgesetzten.
Der Captain nahm die Nachricht ohne jede Regung entgegen. Seine Männer verschwendeten keine Ehrentitel oder Kampfnamen an einen wie Gustav Torn. Für sie war er nur der Tay Duc, der Westdeutsche. Wenn man ihn über die Brücke gebracht hatte, bedeutete das, er war endgültig ins Exil geflohen, war auch hier unten – nur auf der anderen Seite.
Froschhand wärmte sich die Finger über dem offenen Suppenkessel. Den Namen verdankte er einer Kriegsverletzung, die er sich in den Tunneln von Cu Chi zugezogen hatte. Seine linke Hand bestand nur noch aus einem Handteller mit vier Stumpen. Die verbrannte Haut war glatt und porenlos und schimmerte rötlich. Nur die dünnen Fetzen, die sich wie Schwimmhäutchen zwischen den Fingerresten spannten, waren von einem durchscheinenden Weiß, das im Dampf über dem Topf einen Stich ins Gelbliche bekam.
Der Mann mit der Froschhand war einer der Pendler, die sich oft tagelang in der Oberwelt herumtrieben, um den Captain regelmäßig mit Berichten zu versorgen. Die Pendler blieben in Bewegung, tauchten mal hier auf, mal da, übernachteten bei Landsleuten in den einschlägigen Wohnghettos, in verlassenen Lagerhallen und Stellwerken, nie länger als eine Nacht, manchmal nur für Stunden. Die Pendler waren immer in Bewegung, und so mancher, der sie gesehen hatte oder gar gesprochen, zweifelte, ob es sie wirklich gab. Die Landsleute in der Oberwelt nannten sie nicht selten: Die Geister der Ahnen. Ob es sie nun tatsächlich gab oder nicht, man musste sich gut mit ihnen stellen. Manchmal halfen sie. Manchmal straften sie.
Bedächtig saugte der Captain an seiner 555. Er genoss jeden Zug. Die Bestände heimatlicher Zigaretten wurden knapp. Inzwischen war der Restposten exklusiv für ihn reserviert. Die Raucher unter seinen Männern versorgten sich mit Glimmstängeln der Marke Reval aus einer der vergessenen „eisernen Reserven“ der Senatsverwaltung, auf die sie in einem der Bunker gestoßen waren. Unverzollte Zigaretten waren für den Hauptmann und seine Leute ein absolutes Tabu. Es war eine Frage der Ehre, denn der Feind rauchte und verkaufte das Teufelszeug.
„Was wollen die mit dem Tay Duc?“, fragte Froschhand.
„Er wird ihnen in irgendeiner Weise von Nutzen sein. Ich glaube nicht, dass es von Bedeutung für uns ist. Wenn er sich freiwillig in ihre Hände begibt, hat er ausgespielt.“
„Der bunte Blick wird ihn treffen.“
„Es fragt sich nur wann. Wenn der Oberste Befehlshaber ihn bis Neujahr verschont, fällt er womöglich uns in die Hände, und dann haben wir ihn am Hals.“
„Wir können den Tay Duc doch gleich mit ...“
Der Captain nahm Froschhands Zögern zufrieden zur Kenntnis. Die Deutschen waren nicht der Gegner. Er und seine Männer hatten keine Deutschen auf dem Gewissen. Es war wie mit den unverzollten Zigaretten. Man rührte sie nicht an. Sie waren tabu. Er mochte den Mann mit der Froschhand. Er war tapfer und loyal und tief in den heimatlichen Werten verwurzelt. Einmal hatte es ihn fast das Leben gekostet. Die Geschichte war bereits Legende unter den Landsleuten. Damals hatte Froschhand in höchster Eile ein Wohnheim in Marzahn verlassen müssen. Eine Razzia der Polizei stand ins Haus. Es ging um Minuten. Vor dem Eingang war Froschhand eine Schwangere begegnet, die er nicht kannte. Ein schlechtes Omen. Der Brauch verlangte, wieder ins Haus zurückzukehren und abzuwarten, in der Hoffnung, die Frau sei inzwischen verschwunden. Als Froschhand wenig später den zweiten Versuch unternommen hatte, war die Schwangere nicht mehr zu sehen gewesen, aber dafür hatte ein Einsatzkommando das Gebäude umstellt. Trotzdem hatte er es geschafft, sich den Weg freizuschießen und zu entkommen, ohne einen einzigen Polizisten zu verletzen, geschweige denn zu töten. Was nicht einfach war, denn die Intratec, die der Mann mit der Froschhand pflegte und liebte wie ein eigenes Kind, war keine besonders präzise Waffe. Das Modell TEC-DC9 war eine Halbautomatik mit einer Kapazität von 32
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