Berlin Fidschitown (German Edition)
Schuss. Mit dem bulligen Lauf und dem langen Magazin sah sie aus wie eine geschrumpfte MP. Über der Erde ließ sich die Waffe gut unter der Kleidung verstecken, und unter der Erde, wo Froschhand sich das gute Stück meist an einem Tragriemen umhängte, um bei Bedarf beide Hände frei zu haben, war die Intratec nicht sperrig.
„Du solltest ein wenig schlafen“, schlug der Captain vor.
Der Mann mit der Froschhand rülpste leise. „Nach einer guten Suppe muss ich einen Baum kaufen.“
„Um diese Zeit?“
„Ich habe meine Quellen.“
Daran zweifelte der Captain nicht. Jeder hatte seine Schwächen. Auch dafür war Froschhand bekannt. Die sexuellen Bedürfnisse, die seine Landsleute so blumig umschrieben, nahmen leider im Falle seines besten Pendlers krankhafte Züge an. Sein Hunger auf Frauenfleisch war unstillbar und nur schwer vereinbar mit der Diskretion, die seine Aufgabe als Späher erforderte. Aber das war nur eine von vielen Sorgen, die einen Anführer plagten – ein weiteres Problem, das er im Auge behalten musste. Er bevormundete seine Männer nicht. Alles, was ihre Motivation förderte, wurde geduldet. Und wenn es gar nicht mehr anders ging, gab es Befehle – und die waren bislang widerspruchslos befolgt worden.
„Der Stauraum in der Tourismuszone von Van Thánh ist übrigens begrenzt“, meldete sich Froschhand noch einmal zu Wort. „Das Risiko ist zu groß, trotz des günstigen Wetters. Irgendwann hat einer dieser Hobbyangler eine Leiche am Haken.“
„Wenn es nach mir geht, muss es im alten Jahr keine Toten mehr geben. Es hängt ganz von der anderen Seite ab.“ Der Captain erhob sich, um Froschhand zu entlassen. „Und für die Landsleute, die am Neujahrstag fallen werden, wird sich eine andere Lösung finden.“
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Das Material, das Romy Asbach im ausgebauten Dachgeschoss ihrer Wohnung hortete, bot genug Futter für mehrere Arbeitsgruppen.
Farang war beeindruckt. Sie musste nach und nach alles, wozu sie je Zugriff gehabt hatte, kopiert haben. Videos. Tonbänder. Disketten. Schriftliches. Allein die Fotos bedeckten zwei große Arbeitstische. Auch die Hardware war beachtlich. Notebook. Stationärer Rechner mit Monitor, Scanner und Drucker. TV mit Videorekorder. Tonbandgeräte für Kassetten und größere Spulen. Dia- und Schmalfilmprojektoren. Als selbst ernannte Sonderermittlerin war Frau Asbach autark, und sie setzte alles daran, ihm die feindlichen Strukturen zu verdeutlichen.
Sie deutete auf das Foto eines alten Mannes. „Der hier ist der stellvertretende Vorsitzende der alles beherrschenden Bande, die unter dem salbungsvollen Namen Der Bund der Mildtätigen firmiert. Sie nennen ihn den Großvater. Uns ...“
Sie brach ab, als habe sie sich die Zunge verbrannt. Dann räusperte sie sich und fuhr fort.
„ Den Behörden ist er unter dem Namen Harry Nam bekannt. Kam erst vor anderthalb Jahren ins Land, wohl über Paris und Genf. Alles ganz unverfänglich. Ist bei seiner Botschaft bekannt und akzeptiert. Großes Doi-Moi-Getue, von wegen wirtschaftliche Liberalisierung und Öffnung der Märkte, als wäre der Vietcong persönlich Erfinder der Globalisierung gewesen und schon zu Zeiten der Tet-Offensive durchs Internet gesurft. Dabei ist Opa mit Sicherheit kein Kommunist, auch wenn er mit dem Bärtchen aussieht wie Onkel Ho. Opa entstammt ältestem Mafiosi-Adel aus Cholon, der Chinatown von Saigon. Die Sorte bekommt jetzt wieder Oberwasser.“
Farang sah sich das Foto genau an. Es zeigte einen Greis mit einem schütteren Kinnbart.
„Gibt sich als seriöser Geschäftsmann. Bislang war ihm nicht das Geringste nachzuweisen, zumindest nichts, womit man ihm den Prozess hätte machen können. Der Typ macht in Import-Export, hauptsächlich Lebensmittel, de facto ist er der Banker der Mildtätigen und aller angeschlossenen oder abhängigen Untergruppierungen. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Er wäscht und transferiert die riesigen Gewinne aus illegalen Geschäften, aber auch Kleinkunden zahlen gegen eine Gebühr von vier Prozent hier in Berlin bei ihm ein, und seine Gemüse -Filialen in Vietnam zahlen es den dortigen Verwandten aus. Schätzungsweise hat er in nicht mal zwei Jahren Mist von Groß- und Kleinvieh im Wert von über einer Milliarde Mark außer Landes geschleust. Er gehört zur dritten Welle.“
Sie bemerkte seinen fragenden Blick.
„Die Angehörigen der ersten Welle waren und sind normalerweise sauber. Menschen wie du und ich. Ab und zu ein schwarzes Schaf auf viele weiße.
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