Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max
sagte Felix schließlich leise, beinahe vorsichtig.
Lisa wusste, dass er recht hatte. „Machst du dir jetzt auch wegen mir Sorgen?“
Er lächelte, griff wieder nach ihrer Hand, die sie ihm überließ. „Das ist etwas anderes.“
Sie blickte auf ihrer beider Hände, die sich umschlossen hatten.
„Max kann von mir aus zum Teufel gehen“, hörte sie Felix sagen, „ich mach mir doch nur Sorgen um ihn, weil ich weiß, dass du ihn liebst, Lisa.“
Machte er sich wirklich nur deshalb Sorgen? Lisa war sich dessen nicht ganz sicher.
„Hast du noch einmal über das nachgedacht, was wir neulich besprochen haben?“, fuhr Felix fort. „Soll ich ein paar Anrufe machen, sehen, was ich für dich tun kann … für deine - du weißt schon - deine Karriere? Damit du dir vielleicht mal ein paar Betriebe ansehen kannst?“ Er stützte die andere Hand auf der anderen Seite von ihr auf die Bettdecke, so dass er jetzt über sie gebeugt saß.
Lisa spürte, wie sich ihr Gesicht unwillkürlich etwas verhärtete. Konnte er ihr nicht ein wenig Zeit lassen? Sie wusste doch selbst, dass sie nicht ewig warten konnte! Wenn er sie jedoch ständig darauf ansprach, würde sie wahrscheinlich erst recht nie zu einer Entscheidung finden!
„Lisa, ich will dich nicht drängen oder dir zu nahe treten … ich … ich will dir helfen.“
„Ja“, presste sie hervor und wünschte, er würde sich nicht so über ihr abstützen - ja, er würde sie endlich allein lassen …
„Brauchst du vielleicht mal eine Abwechslung, mehr Luft? Ist es das?“ Als ob Felix gehört hätte, was sie dachte, setzte er sich wieder aufrecht hin und legte die Hände in den Schoß. „Hast du etwa noch immer Angst vor mir?“ Seine Stimme schien jetzt beinahe scheu wie ein Eichhörnchen.
Lisa lag unter ihrer Decke und kam sich vor wie eine Mumie. Was sollte sie ihm darauf antworten? Vor Jahren hatte sie ihm nach langem Zögern einmal anvertraut, dass sie bei aller Vertrautheit, die zwischen ihnen herrschte, doch nie das Gefühl ganz loswürde, er könnte einmal die Beherrschung über sich verlieren … könnte ihr wehtun - auch wenn er das vielleicht gar nicht wollte … könnte sie förmlich zerreißen … und wenn es nur in einem Moment der Ekstase war, des Überschwangs … in einem Moment, in dem er sozusagen der Wucht der eigenen Lust erlag. Und obwohl sie wusste, dass er sich seitdem Mühe gab, sich zu zügeln, war Felix doch danach auch kein anderer Mensch geworden. Nach wie vor gab es Nächte, die sie miteinander verbrachten - und in denen sie wieder da war: Glasklar, strahlend, gleißend - die Angst vor diesem Mann, der sie zu Dingen drängte, an die sie, wenn sie allein war, sich zu erinnern scheute. Dinge, von denen sie in keinem Buch, geschweige denn in einem Film jemals etwas gelesen oder gesehen hätte. Dinge, die sie mit sich fortrissen, die sie fast nicht als sie selbst erlebte - von denen sie jedoch wusste, dass die vagen Erinnerungen daran in ihr fortwirkten und ihre Persönlichkeit geradezu zu durchschleichen schienen.
„Ich liebe dich, Lisa“, hörte sie ihn sagen. „Das weißt du.“
Sie nickte.
„Ich weiß, ich habe viel falsch gemacht.“
Ihre Augen wanderten zu seinem Gesicht. Es wirkte eingefallen, in sich gekehrt. Es war nicht oft, dass sie ihn so gesehen hatte.
„Als deine Mutter mich damals gebeten hat, mich um dich zu kümmern, habe ich versucht, das Beste daraus zu machen“, sagte Felix. „Mit Max hat es nie funktioniert. Mit dir aber ja, Lisa. Du hast einen anderen Menschen aus mir gemacht. Kannst du das glauben?“
Nein.
„Du weißt, ich habe euer Haus nur vermietet, seitdem deine Mutter dort ausgezogen ist.“ Felix richtete seinen Blick wieder auf sie. „Ich habe schon länger darüber nachgedacht. Ich will, dass wir dort einziehen, Lisa. Ich will dir das Haus schenken. Du wolltest doch immer, dass ich es behalte und nicht verkaufe. Vielleicht ist es das, was du brauchst: Das Haus deines Vaters, in dem du selbst groß geworden bist. Dann wirst du besser sehen, wohin dein Weg dich führt.“
Das Haus … der Garten … die Laube, in der Till zuerst übernachtet hatte … das Gartenhaus hinter der Hecke, in der ihr Vater gearbeitet hatte …
Die Erinnerungen strömten auf Lisa ein. Das Haus ihrer Eltern war ihr immer so vorgekommen wie ein Schloss, in dem einzuziehen so etwas wie eine Ankunft im erwachsenen Leben sein würde. Felix hatte es ihrer Mutter vor Jahren schon abgekauft - und jetzt wollte er es ihr, Lisa,
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