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Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max

Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max

Titel: Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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klingt wie die Welle eines unaufhaltbaren Stroms. Als wären die Schleusen geöffnet worden und die Massen, die sich dahinter aufgestaut hatten, würden mit unvorstellbarer Wucht durch die Gänge drücken.
    Durch die Gänge hindurch auf sie zu.
    Sie sind überall - und sie werden alles mitreißen.
    Claire sieht, wie sich das Gesicht des Mannes ihrem nähert.
    Entsetzt reißt sie die Hände nach oben, um sich dagegen zu wehren.
    Presst sie ihm auf sein Gesicht.
    Der totenähnliche Gestank, der seinem Maul, seinem Schlund entweicht, schleicht sich zwischen ihre Finger hindurch, kriecht Claire in die Nase, die Augen, den Mund - als hätte er seine Zunge schon zwischen ihre Lippen hindurch bis in sie hineingeschoben.
     


     
    Vor zwei Jahren
     
    „Max?“ Lisa schlenderte den schwarz getünchten Flur entlang, in den man gelangte, wenn man Max‘ Wohnung durch die Haustür betrat. „Max!“ Es war am Nachmittag des Tages nach ihrem Gespräch mit Felix. Die Wohnungstür ihres Bruders hatte weit offen gestanden.
    „Hier, wir sind unten!“ Max‘ Stimme drang entfernt und gedämpft zu ihr hoch.
    Lisa wandte sich zum Berliner Zimmer, ging durch es hindurch bis in den Seitenflügel und über die Innentreppe in das Stockwerk darunter, das ebenfalls zu Max‘ Wohnung gehörte. Als sie dort ankam, sah sie Till und ihren Bruder, die verschwitzt und in staubigen, weißen Hemden die nach vorn liegenden, großen Zimmer der unteren Wohnung aufräumten.
    „Nur ein Tisch“, rief Max ihr zu, als er sie sah. „Hier soll nur ein Tisch stehen, die Stühle habe ich schon besorgt. Je weniger in den Räumen hier unten ist, desto besser!“
    Lisa spazierte zu ihnen in die beiden vorderen Wohnzimmer und warf Till einen flüchtigen Blick zu. Er nickte zurück.
    „Komm Till, jetzt das Sofa!“, kommandierte Max und beugte sich herunter, um das schwere, dunkelrot bezogene Möbelstück anzuheben.
    „Das Taxi wartet noch unten“, sagte Lisa und sah zu Max. „Ich hab was mitgebracht.“
    Max blickte auf. „Ach ja? Was denn?“
    „Überraschung!“
    „Soll ich dir hochtragen helfen?“ Till hatte sich ebenfalls wieder aufgerichtet.
    „Gute Idee.“
    Es waren zwei Kisten Champagner. Till wuchtete sie aus dem Kofferraum des Taxis, während Lisa den Fahrer bezahlte. Sie bummelten zum Eingang des Hauses zurück. Bevor sie ihn jedoch betraten, berührte Lisa Tills Arm. „Ich hab mit Felix gesprochen.“
    Seine Augen schnellten zu ihr. Er blieb ebenfalls stehen, die Kisten auf dem Arm.
    Lisa zögerte. Nach ihrem Gespräch mit Felix am Abend zuvor hatte sie kein Auge mehr zugetan. Es war ihr zwar gelungen, Felix dazu zu bewegen, sie alleine zu lassen, ohne ihn allzu sehr vor den Kopf zu stoßen - aber sie wusste nicht, wie es weiter gehen sollte. Sie würden ihn nicht mehr lange hinhalten können.
    „Wollen wir uns kurz setzen?“ Till nickte zu einer Bank, die am Ufer der Spree vor dem Haus aufgestellt war. Von dort aus blickte man auf die Gotzkowskybrücke und die umgebauten Fabrikgebäude auf der anderen Seite des Flusses.
    „Was hat er denn gesagt?“, fragte Till, nachdem sie auf der Bank Platz genommen hatten und er die Kisten neben sich abgestellt hatte.
    Dass er ein Kind von mir will, schoss es Lisa durch den Kopf. „Es ging um Max“, sagte sie, „er meint, dass er sich Sorgen um ihn macht.“
    Till runzelte die Stirn.
    „Wie gefällt dir denn die Arbeit bei … bei Felix?“, fuhr Lisa fort.
    Sie sah, wie Till kurz nachdachte, bevor er antwortete. „Es ist schon interessant, was sie dort versuchen … soweit ich das beurteilen kann, macht das sonst weltweit keiner.“
    „Und du willst dort mitarbeiten?“
    Tills Schulter zuckte. „Ja, vielleicht … warum nicht?“
    Lisa sah ihm in die Augen. Sie kannte Till so lange schon, es hatte sie immer beruhigt, in sein Gesicht zu schauen - ein offenes, ehrliches, ein starkes Gesicht.
    „Wegen uns“, erwiderte sie langsam. Muss ich ihm das wirklich erst sagen?, dachte sie. Ist dann nicht sowieso alles vollkommen falsch?
    Im gleichen Moment geschah etwas, das sie sich gewünscht hatte, ohne darüber nachzudenken. Till griff nach ihrer Hand und drückte sie. Ihr Kopf wurde so schwer, dass er ein wenig zur Seite sank. Sie spürte, wie Till seinen Arm um ihre Schultern legte und sich die Wärme, die von seinem Körper ausging, mit der Erwärmung vermischte, die in der Luft lag.
    „Ist das wirklich das Richtige für dich?“, fragte sie, ohne den Kopf von seiner Schulter zu nehmen.

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