Berlin Wolfsburg (German Edition)
Widerstand gegen das Kind wurde,
umso überzeugender war sie nach außen hin als unbeirrbar fürsorgliche Mutter
aufgetreten. Niemand von den Ärzten und Pflegenden oder aus ihrem Freundes- und
Kollegenkreis wäre je auf die Idee gekommen, dass Hannelore Maurer ihren Sohn
lieber heute als morgen zu Grabe getragen hätte.
Dass dieser Wunsch eines Tages von einem Augenblick auf den anderen
wie ein Bumerang zu ihr zurückkommen könnte, hätte sie niemals für möglich
gehalten.
3
Johanna saß noch beim Frühstück – das wirklich grandios
war –, als Tony auf ihrem Handy anrief. Normalerweise ließ die Kommissarin sich
nicht beim Essen stören, aber da sie in ihrem Zimmer aß und die Kollegin einen
guten Grund haben würde, sich so früh zu melden, machte sie eine Ausnahme.
»Dir dürfte doch wohl klar sein, dass ich da nicht so ohne Weiteres
rankomme«, sagte Tony nach denkbar knapper Begrüßung, und der brummige Unterton
war deutlich herauszuhören. »Die Jungs vom LKA und KDD wollen da ganz bestimmt auch ein Wörtchen
mitreden.«
»Ach, das kriegst du schon hin«, versicherte Johanna. »Davon bin ich
überzeugt.«
»Außerdem sind sechs Monate ein verdammt langer Zeitraum – dir ist
schon klar, dass ich auch noch was anderes zu tun habe?«, meckerte Tony
unbeirrt weiter. »Weiß Samthof überhaupt von der Aktion?«
Johanna trank einen Schluck Kaffee. »Nun, er hat mir Unterstützung
zugesichert, aber es wäre wunderbar, wenn du einfach schon mal vorab –«
»Na toll, es gibt also noch keine Genehmigung. Das wird ja immer
besser.«
»Ich komme nicht weiter, Tony«, entgegnete Johanna in
beschwichtigendem Tonfall. »Schon gar nicht auf die Schnelle. Hier hat unter
Umständen jemand ganze Arbeit geleistet. Jeder einzelne Fall scheint völlig
klar und so eindeutig, dass trotz des allgemeinen Entsetzens immer nur an der
Oberfläche gekratzt wurde. Rein faktisch betrachtet, könnte ich hier noch zwei,
drei Gespräche führen, vielleicht der Rechtsmedizin in Hannover einen Besuch
abstatten, wenn überhaupt, und mich dann unverrichteter Dinge wieder auf den
Heimweg machen, wozu ich durchaus Lust hätte. Aber wir haben nicht ein oder
zwei, sondern inzwischen fünf tote Polizisten, allesamt Kriminalbeamte
übrigens, die nicht gerade mit Kleinkram beschäftigt waren und die in den
letzten drei Monaten auf vergleichbare Weise aus dem Leben schieden«, erörterte
Johanna weiter. »Wer sagt uns eigentlich, dass es dabei bleibt? Vielleicht
folgen demnächst Nummer sechs und sieben … Ich denke, Samthof hat mich nicht
losgeschickt, um ein bisschen zu plaudern und mir Gelegenheit zu geben, mich
wie üblich über Reinders zu ärgern und mit einem schicken Kommissar
italienischen Einschlags in der Autostadt Currywurst zu futtern.«
»Nicht der schlechteste Job, wenn du mich fragst«, kommentierte
Tony. »Bring mir eine mit!«
Johanna lächelte. »Tu ich natürlich gerne. Hör zu, ich will einfach
sichergehen –«
Tony stöhnte. »Ja, ja, schon gut, ich hab’s verstanden – ein
intensiver Blick auf Rauth und Lange und ihre Ermittlungen und sonstige
Auffälligkeiten in den letzten sechs Monaten, es dürfen auch gern mehr sein,
und solange kein offizieller Beschluss vorliegt, sollte ich unauffällig
agieren. Habe ich das richtig wiedergegeben?«
»Goldrichtig. Und wenn du schon dabei bist, frag auch bei den Jungs
und Mädels vom OK -Dezernat nach.«
»Super Idee«, bemerkte Tony süffisant. »Damit mir nicht langweilig
wird, oder wie? Noch was?«
»Grad nicht.«
»Wie beruhigend. Ich melde mich, sobald ich –«
»Das wäre ungefähr wann?«
Tony brummte etwas Unverständliches ins Telefon und verabschiedete
sich. Das war auch eine Antwort. Johanna nickte zufrieden. Tony war schnell,
auch wenn sie sich aufregte und ihr Schreibtisch gerade überquoll vor Arbeit.
Wenig später versuchte Johanna, Annegret Kuhl zu erreichen, aber die
Staatsanwältin befand sich im Urlaub – leider –, und ihre Vertreterin hatte
gerade im Gericht zu tun. Johanna nahm sich vor, es später noch einmal zu
versuchen, und schlug die Akten Ansdorf und Huhlmann auf.
Das Ehepaar Günther und Silvia Ansdorf hatte fast fünfundzwanzig
Jahre gemeinsam in einem Einfamilienhaus in Ehmen gelebt, während die
Braunschweiger Kommissarin mit ihrem Lebensgefährten in Detmerode zu Hause
gewesen war. Warum eigentlich? Sie arbeitete in Braunschweig und der
Lebensgefährte beim NDR in Hannover – Wolfsburg
war als Wohnort in diesem Fall rein
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