Berlin Wolfsburg (German Edition)
meinte, dass alle
Kollegen deswegen geschockt seien …«
Johanna machte sich in Gedanken eine Notiz. Sie war gespannt, ob
Luca Mareni eine Überprüfung der Telefonverbindungen und E-Mail-Kontakte
veranlasst hatte. »Ihre Schwester ist häufig abends eine Runde Joggen gegangen
oder hat noch einen Spaziergang gemacht«, fuhr sie dann fort.
»Ja, regelmäßig. Sie konnte dabei gut abschalten«, bestätigte
Karina. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und verschränkte die Finger
ineinander. Plötzlich stieß sie den Kopf ruckartig nach vorn. »Ulrike hätte
sich niemals in den Tod gestürzt!«, erklärte sie heftig. »Das habe ich der
Wolfsburger Polizei auch gesagt. Niemals! Und wenn sie tatsächlich hätte
sterben wollen, dann garantiert nicht so, nicht auf diese Weise.« Sie atmete
heftig. »Tut mir leid, wenn ich …«
»Keine Ursache«, beschwichtigte Johanna. »Was macht Sie so sicher,
dass Ulrike nicht auf diese Art hätte sterben wollen?«
Karina starrte sie einen Moment stumm an. »Sie hatte keinen Grund zu
sterben. Sie hatte so viel vor«, erklärte sie schließlich. »Außerdem litt sie
unter Höhenangst, was kaum jemand wusste, weil Ulrike nicht gerne über ihre
Schwächen sprach. Über die Fußgängerbrücke ist sie immer gelaufen, um ihre
Angst zu überwinden. In der Mitte blieb sie kurz stehen, wagte einen Blick in
die Tiefe, oder auch zwei Blicke, und lief dann weiter … Glauben Sie, dass ein
Mensch mit so einem Problem diesen Freitod wählen würde?«
Nein, das glaubte Johanna nicht. Sie war auf grausame Art und Weise
und in allergrößter Panik aus dem Leben geschieden – es ging schneller als bei
den Badesalzopfern, aber wahrscheinlich in ähnlicher Intensität. Nur: Um ihren
Glauben ging es hier nicht, und auch nicht um den der Schwester. »Was hat der
Wolfsburger Kommissar zu Ihrer Einschätzung gesagt?«
»Er meinte, dass wir nicht hundertprozentig wissen können, was in
ihr vorgegangen sei und dass ihre Verzweiflung wohl sehr groß gewesen sein
müsse. Aber wir hatten noch am Vortag telefoniert, und sie war nicht
verzweifelt. Sie war wie immer …«
Johanna war sich darüber im Klaren, dass Marenis Bewertung zutreffen
konnte, zumal alle Fakten sie bestätigten und Menschen eigentümliche Wesen
waren, die von einem Augenblick auf den anderen die seltsamsten und
erschreckendsten Dinge taten, aber ihr Bauch sagte ihr immer deutlicher etwas
ganz anderes.
»Frau Huhlmann, ich würde Sie gerne ein weiteres Mal kontaktieren,
wenn sich noch Fragen ergeben.«
»Natürlich«, sagte Karina sofort und nestelte eine Visitenkarte aus
ihrer Hosentasche.
»Und falls Ihnen noch etwas einfällt …« Johanna zog ihr Kärtchen aus
dem Rucksack und reichte es der jungen Frau. »Rufen Sie mich unbedingt an.«
»Das tue ich bestimmt.«
An der Wohnungstür drehte Johanna sich noch einmal um. »Ach, nur so
nebenbei – wieso haben Ihre Schwester und deren Lebensgefährte eigentlich in
Wolfsburg gewohnt? Die tägliche Fahrerei nach Braunschweig und Hannover muss
doch ätzend sein.«
Karina zuckte mit den Achseln. »Daniel ist freier Rundfunkjournalist
und ohnehin viel unterwegs. Außerdem hat er oft hier in der Gegend zu tun, und
beide haben sich in Wolfsburg immer sehr wohlgefühlt.« Sie stutzte. »Anfang des
Jahres hat Ulrike sich auf eine freie Stelle in der Mordkommission in Wolfsburg
beworben, das Ganze dann aber doch wieder abgeblasen.«
»Kennen Sie den Grund dafür?«
»Sie war plötzlich unschlüssig und wollte doch lieber in
Braunschweig bleiben, vorerst zumindest – so drückte sie sich aus. Ganz
verstanden habe ich das nicht, aber na ja …«
Vielleicht hat sie beim Gespräch mit Reinders festgestellt, dass sie
es alles andere als erstrebenswert findet, ihn als zukünftigen Chef zu haben,
dachte Johanna und bereute den bissigen Gedanken keine einzige Sekunde. Wenig
später verabschiedete sie sich von Karina und bat sie, Daniel Beuten darüber in
Kenntnis zu setzen, dass sie unter Umständen auch noch mit ihm reden müsse.
Auf dem Weg zum Auto rief sie Luca Mareni an. Der gab zwar vor, sich
darüber zu freuen, so schnell wieder von der BKA -Kommissarin
zu hören, aber Johanna war sicher, dass er ein bisschen dick auftrug – milde
ausgedrückt.
Ulrike Huhlmanns Telefonverbindungen seien unauffällig gewesen,
ebenso der E-Mail-Verkehr, erläuterte er auf Johannas Nachfrage, und ein
persönlicher Kontakt zu Ansdorf oder seiner Familie habe zu keinem Zeitpunkt
bestanden.
»Sie
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