Berlin Wolfsburg (German Edition)
zum Telefon und rief ihn an.
»Ich bin in Wolfsburg geboren, Herr Kommissar«, sagte er ohne
großartige Einleitung. »Ich arbeite im VW -Werk,
mein Vater führt ein kleines Restaurant, in dem auch meine Mutter, mein Bruder
und seine Frau arbeiten.«
»Ist mir bekannt. Und?«
»Ich bin überfallen, entführt und stundenlang zusammengeschlagen
worden – von Leuten, die ich nicht kenne. Ich führe keine Fehden oder
Privatkriege auf der Grundlage irgendeines obskuren Brauchtums, wie Sie wohl
andeuten wollten, und ich habe keine Feinde …«
»Vielleicht wissen Sie nur nichts von ihnen. Denken Sie mal darüber
nach. Die Leute, die Ihnen das angetan haben, sind Ihnen jedenfalls nicht
besonders wohlgesonnen, Herr Celik.«
In diesem Punkt hatte der Kommissar zweifellos recht. Einige Tage
später erkrankten mehrere Restaurantgäste von Karims Vater an Salmonellen, und
das Lokal musste bis zur endgültigen Klärung des Vorfalls geschlossen bleiben.
Karim war davon überzeugt, dass es einen Zusammenhang mit dem Überfall auf ihn
gab, doch die Polizei fand keine verwertbaren Hinweise. Die einzige Spur führte
zu einem Gast, der sich in der Vergangenheit mehrfach über die schlechte
Qualität des Essens aufgeregt hatte, aber ihm war nichts nachzuweisen. Das
Lokal konnte einen Monat später wieder eröffnet werden, doch ein Großteil der
Gäste blieb aus.
Von einem Freund aus dem Islamischen Kulturzentrum erfuhr Karim
einige Zeit später hinter vorgehaltener Hand, dass unlängst in Braunschweig ein
Architekt ermordet worden war, dessen Büro den Entwurf für eine neue Moschee
eingereicht hatte. Die Ermittlungen waren im Sande verlaufen … Der Freund hob
bedeutungsvoll eine Braue. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit hätte Karim
abgewunken – er spekulierte nicht und war auch kein Freund von
Verschwörungstheorien, geschweige denn dass er sich an der Verbreitung von
Gerüchten beteiligte. Doch nun spürte er Beklemmung aufsteigen, gepaart mit
einer Hilflosigkeit, wie er sie noch nie empfunden hatte.
Und jetzt dieser Anruf von Kommissar Luca Mareni. Dass Ansdorf tot
war, war eine Sache. Dass ausgerechnet zu Karims Fall Fragen offen geblieben
waren, die Monate nach den Geschehnissen einer Erörterung bedurften, war ihm
ganz und gar nicht geheuer.
5
Annegret Kuhl hatte ein Café am Bohlweg in Braunschweig
vorgeschlagen. Johanna parkte in der Tiefgarage am Schlossplatz. Sie war
gespannt. Es kam nicht eben alle Tage vor, dass eine Staatsanwältin ihren
wohlverdienten Urlaub unterbrach, um sich mit einer ebenso eifrigen wie
manchmal – da war sie durchaus selbstkritisch – nervigen BKA -Beamtin aus Berlin zu verabreden, und zwar ohne
Johannas Anliegen vorab telefonisch zu erörtern. Um genau zu sein, hatte Kuhl
lediglich angerufen, um den Termin zu vereinbaren. Während der Fahrt waren
Johanna mehrere Erklärungsvarianten durch den Kopf gegangen, die definitiv
nicht in Frage kamen. Annegret Kuhl würde kaum vor Langeweile die Decke auf den
Kopf fallen, und drängende Sehnsucht nach Johanna fiel als Motiv für ihren
Vorstoß genauso aus. Davon war die Kommissarin zumindest überzeugt.
Annegret Kuhl wirkte noch genauso tough und schick wie bei ihrer
ersten Begegnung im letzten Jahr und begrüßte Johanna mit offenem Blick und
feinem Lächeln. »Schön, Sie wiederzusehen.«
»Danke, das höre ich nicht allzu oft. Und das Vergnügen ist
natürlich ganz auf meiner Seite.« Meine Güte, ich kann ja richtig charmant
sein, wenn ich will, wunderte Johanna sich, während sie sich setzte.
Sie bestellten Kaffee und Käsekuchen, den Annegret Kuhl in den
höchsten Tönen lobte, und tauschten nur so lange Artigkeiten und Allgemeinplätze
aus, bis ihre Bestellung serviert worden war.
»Ich habe nicht damit gerechnet, noch von Ihnen zu hören«, sagte
Johanna und kostete den Kuchen. Er war in der Tat hervorragend.
»Ich bin erst ab nächster Woche wieder im Dienst, aber als ich im
Büro anrief, um mich schon mal auf den neuesten Stand bringen zu lassen, erfuhr
ich, dass Sie nach mir gefragt haben und auch meine Kollegin Hannelore Maurer
nicht erreichen konnten …« Die Staatsanwältin lächelte plötzlich spitzbübisch.
»Lassen Sie mich raten – Ihre Sekretärin ist nicht mit dem Vorschlag
herausgerückt, mich für die Wahl der sympathischsten Kommissarin in
Niedersachsen ins Rennen zu schicken.«
Kuhl hob die Hände. »Na ja …«
»Vergessen Sie es. Ich bin gerade diesbezüglich Kummer gewöhnt.«
Die Staatsanwältin
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