Berndorf 07 - Trotzkis Narr
damit, noch viel mehr Milliarden als die Mafia. Was, bitte, soll mein armer Freund Giselher mit all diesen Leuten zu tun gehabt haben?«
Berndorf und Tamar tauschen einen Blick. »Ist es möglich«, fragt Tamar, »dass Marcks über seinen Aufgabenbereich in der Senatsverwaltung hinaus beratend oder vermittelnd tätig gewesen ist?«
»Aha«, macht Finklin, »darauf wollen Sie hinaus! Aber was wäre daran zu beanstanden? Jeder Mensch braucht Beratung. Sie sind, so sagten Sie, private Ermittler. Ich will es Ihnen mal glauben. Dann kommen also Leute zu Ihnen, und für diese Leute finden Sie etwas heraus. Hoffentlich tun Sie das dann. Vielleicht sind auch zu Giselher Leute gekommen und wollten etwas wissen. Über Land und Leute, Geschichte, Geologie, Literatur – es gibt in der Welt ein enormes Potential an Wissen, aber es gibt auch einen enormen Bedarf. Sie müssen beides nur zusammenbringen …«
Als wäre eine Stahlfeder losgeschnellt, hat sich die Hündin umgedreht und ist aus dem Sessel gesprungen und läuft knurrend zur Zimmertür. Drohend sträubt sich auf ihrem Rückenkamm ein Streifen Fell.
»Hexe, alte Töle«, sagt Finklin, steht auf und steckt die Pistole ein, »sollten wir noch mehr Besuch bekommen?«
K aren Andermatt hat Platz an einem Tisch mit einem älteren weißhaarigen Herrn und zwei Damen gefunden, der Herr trägt den Blazer eines Yachtclubs und hat eine vom Alter oder dem guten Leben schon leicht knollig gewordene Nase. Beide Frauen stecken in Kostümen und haben tatsächlich das blau getönte Silberhaar, von dem Karen gar nicht wusste, dass die ältere Dame noch so etwas trägt. Mindestens eine von ihnen hat zu viel Parfüm aufgelegt.
Direkt über Karen trägt ein Bacchus oder eher: ein nordischer Krieger, der als Bacchus verkleidet ist, eine Amphore, und zwar tut er es mit der gleichen Sorgfalt, mit der ein Artillerist eine besonders bösartige Granate zur Dicken Bertha bringen würde. Zum Glück ist der bacchantische Artillerist samt seiner Amphore aus Stein, denn Karen befindet sich in einem Festsaal mit neugotischem Deckengewölbe und ebensolchem Figurenschmuck. Vor einer Viertelstunde ist sie angekommen, als Teil der Eskorte, die Dagmar Wohlfrom-Kühn neuerdings begleitet. Zwei Bodyguards, gestellt von der Berliner Polizei, gehören auch dazu, die Bodyguards haben weiter hinten im Saal Platz genommen. Karen ist zum ersten Mal hier, so viel sie sehen kann, strahlen auch die anderen Werke deutscher Steinmetzkunst Anno Domini 1905 nicht weniger Bedrohlichkeit aus als der germanisierte Bacchus über ihr. Vielleicht soll es auch gar kein Bacchus sein, fällt ihr ein, sondern ein deutscher Landsknecht, der beim Sacco di Roma richtig was zum Süffeln erbeutet hat.
Der Herr, der jetzt in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatspartei-Ortsverbandes Charlottenburg die Anwesenden und – »natürlich ganz besonders« – die Leitende Staatsanwältin Dagmar Wohlfrom-Kühn begrüßt, hat glücklicherweise durchaus nichts Bedrohliches an sich, er hat graumeliertes onduliertes Haar und einen gepflegten Kinnbart und spricht mit dieser lockig-flockigen berlinischen Gewandtheit, die jedem Zuhörer wie von Zauberhand die Gewissheit eingibt, einen besonders witzigen und geistvollen Vortrag zu hören. Wie immer, wenn so geredet wird – meistens geschieht das beim Abschluss von Versicherungsverträgen –, ist Karen auf der Hut, erkennt zunächst aber trotzdem nicht, worauf der Redner – ein Arno Triglaw – eigentlich hinauswill.
Triglaw stellt zunächst das Procedere der bevorstehenden Abstimmung über den Spitzenkandidaten vor, mit dem die Staatspartei ganz unvermeidlich den nächsten Regierenden Bürgermeister stellen wird. Dann will er der Hauptperson des Abends in keiner Weise vorgreifen, muss aber doch noch ein paar Worte zum allgemeinen politischen Umfeld verlieren.
Warum hat der die Staatsanwältin eingeladen und redet dann selber die Leute fransig?, fragt sich Karen und begreift plötzlich, dass Triglaw genau das will: den Abend kleinreden. Wenn der Zug wirklich losfährt, will man ganze vorne, in der Ersten Klasse dabei sein. Sicherheitshalber bleibt man aber erst einmal auf dem Trittbrett, um notfalls sofort wieder abspringen zu können.
Irgendwann hat Triglaw dann auch die vielen guten und sinnvollen Dinge vorgestellt, die die Berliner Staatspartei getan haben würde, wenn sie nur die Mehrheit dafür gehabt hätte, und kann endlich zum Gast des Abends überleiten, zu Dagmar
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